Bureaucracy Studies,
herausgegeben von Matthias Sohr
Die aktuelle Ausgabe (No. 3) erscheint in Deutsch-Englisch, Italienisch-Deutsch und Französisch-Englisch,
mit Beiträgen von Sung Tieu, Collectif Faire-part, Moshtari Hilal & Sinthujan Varatharajah, Slavs and Tatars, Valerie Keller und Orawan Arunrak
Weitere Informationen unter
https://bureaucracystudies.org
„Zeitgenössische Kunst ist Kunst von heute.
Viele Menschen interessieren sich nicht
für zeitgenössische Kunst.
Dafür gibt es einen Grund:
Es ist schwierig,
mit Kunst-Schaffenden zu sprechen.
Kunst-Schaffende sind Menschen,
die mit Kunst und Kultur zu tun haben.“
Mit diesen Sätzen beginnt Matthieu Vonnez’ Beitrag über „Elitismus in der zeitgenössischen Kunst“, erschienen in der ersten Ausgabe der Kunstzeitschrift „Bureaucracy Studies“. Der Blick des Autors ist nicht gerade wohlwollend. Er schreibt von „überheblichen Künstler*innen“ und von der eigenen „Verachtung für zeitgenössische Kunst“. Aber auch er hat seine Gründe. Was den ehemaligen Redakteur der psychiatrie-aktivistischen Graap-Stiftung umtreibt, ist das Fehlen ernsthafter Bemühungen im Kunstfeld, der Komplexität aktueller Kunst in einer Sprache gerecht zu werden, die nahe am Alltag der Menschen ist – auch jener mit Lese-, Schreib- und Lernschwäche.
Matthieu Vonnez schrieb seinen Text auf Einladung des Künstlers Matthias Sohr, der seit 2019 in Lausanne einen Offspace zur Erforschung der Ein- und Ausschlussmechanismen von Verwaltungsstrukturen betreibt. Daraus ging 2022 das Zeitschriftenprojekt „Bureaucracy Studies“ hervor, mit dem Sohr die Möglichkeiten barrierefreier Kunstvermittlung ausloten will. Die Idee dazu kam ihm bei der Lektüre von Kurator:innentexten über seine eigenen Arbeiten. Erste Versuche, diese Texte in Leichte Sprache zu übersetzen, mündeten in ihrer radikalen Verkürzung auf die zentralen Sachfragen: Wer ist der Künstler? Was zeigt er in seiner Ausstellung? Wann und wo findet sie statt? Damit aber fielen zahlreiche andere, kaum weniger wichtige Aspekte seiner Arbeit unter den Tisch, Wort und Werk entfernten sich voneinander, das Spezifische geriet zugunsten der Allgemeinverständlichkeit des Textes aus dem Blick. Und plötzlich stand die Frage im Raum, wie sinnvoll eine Kunstvermittlung sein kann, der die Werkzeuge fehlen, abseits bloßer Fakten – die nur beschreiben, aber nichts erklären – das schwer Fassbare sichtbar zu machen wie Poesie, Ironie, Trauer oder Humor. Für Matthias Sohr ist „Bureaucracy Studies“ ein Experiment mit offenem Ausgang, getragen von der Überzeugung, dass alle Menschen an der Auseinandersetzung über zeitgenössische Kunst teilhaben können sollten – weil sie neue Perspektiven auf die Gegenwart ermöglicht, in der wir leben. Für Sohr gehören dazu unter anderem Texte in Leichter Sprache über LGBTQ-Künstler*innen, ein DJ-Kollektiv aus Singapore oder eine Arbeit von Josiah Heyman über das Grenzregime zwischen USA und Mexiko. Pünktlich zur dritten Ausgabe wurden seine „Bureaucracy Studies“, die auf Deutsch, Französisch, Englisch und bald auch auf Italienisch erscheinen, im Juni mit einem Swiss Art Award in der Kategorie „Kritik, Edition, Ausstellung“ ausgezeichnet.