Biennale für Freiburg 2 – Das Lied der Straße.
Bis 31. Juli 2023
Programm unter www.biennalefuerfreiburg.de
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Mittwoch bis Freitag 15.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Museum für Neue Kunst – Schauraum, Marienstr. 10a, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 19.00 Uhr.
Kommunales Kino, Urachstr. 40, Dienstag bis Freitag 12.00 bis 20.00 Uhr, Sa 9.00 bis 20.00 Uhr, So 14.00 bis 20.00 Uhr.
Stadtbibliothek, Münsterplatz 17, Dienstag bis Freitag 10.00 bis 19.00 Uhr, Samstag 10.00 bis 15.00 Uhr.
DELPHI_space/außenstelle, Unterlinden 10, Donnerstag bis Sonntag 14.00 bis 20.00 Uhr.
Pförtnerhaus, Fabrikstr. 15, Donnerstag bis Sonntag 14.00 bis 20.00 Uhr.
Kaiserwache, Kaiserbrücke, Donnerstag bis Sonntag 14.00 bis 20.00 Uhr.
Klarastraße 62, 70, 76, 80, Außeninstallationen, durchgehend geöffnet.
Schwabentorbrücke, Straßenbahnhaltestelle Richtung Littenweiler, durchgehend geöffnet.
Musikpavillon im Stadtgarten, durchgehend geöffnet.
Seepark Freiburg, Bürgerhaus / Aussichtskanzel Wiese / Forsthaus / Kleine Insel, durchgehend geöffnet.
Nervöse Infrastrukturen / Widerständige Handlungen.
Symposium am Samstag, 8. Juli 2023 im Kommunalen Kino, Urachstr. 40, 10.00 bis 17.00 Uhr.
Mit Alejandra Coz Rosenfeld, Paula Kommoss, Joe Namy, Kathrin Rottmann, José B. Segebre, Polina Stohnushko und Stephan Trüby
Es ist schwül, träge dümpeln ein paar Enten im Wasser. Die Hitze der letzten Tage hat das Gras im Freiburger Seepark verbrannt, wie in jedem Jahr. Für viele ist das trotzdem kein Grund, auf eine Auszeit in dieser konstruierten Landschaft zu verzichten, die 1986 für die Landesgartenschau angelegt wurde und in ihrer seltsam irrealen Modellhaftigkeit zugleich Bühne war für den Kunstwettbewerb unter dem Motto „Park, Kunst und Utopie“. Heute, knapp vier Jahrzehnte später, verfallen viele der Kleinarchitekturen, die hier damals die Zukunft des öffentlichen Raums verhandelten. Stege, die über das Wasser führen, sind wegen Einsturzgefahr gesperrt. Der spektakuläre Mammutwald aus 260 Bäumen musste 2019 bis auf fünf Exemplare abgeholzt werden – er hatte er den Klimastress nicht überlebt. Ungeachtet dessen gehört der Seepark nach wie vor zu den belebtesten Stadterholungsgebieten in Freiburg, bevölkert von Studierenden aus den umliegenden Wohnheimen, Familien und Alten aus der Nachbarschaft, Jugendlichen mit Boomboxen, die mit dem Biergartenpublikum um die Lärmhoheit konkurrieren.
Es ist nicht der schlechteste Ort, um hier ein Kunstfestival zu eröffnen, das sich intensiv mit dem öffentlichen Raum beschäftigt, mit seiner Wahrnehmung und seinen Geschichten, den Konflikten, die in ihm angelegt sind und ausgetragen werden, den verborgenen Bedeutungen und schlummernden Potenzialen. Paula Kommoss, Kuratorin der diesjährigen Biennale für Freiburg, hat ihn mit Bedacht gewählt für den Start ihres Ausstellungsprojekts, das unter dem Motto „Das Lied der Straße“ Arbeiten von 34 Kunstschaffenden an zwölf denkbar unterschiedlichen Orten versammelt – vom Kunstverein Freiburg über Off-Räume wie das Pförtnerhaus und den DELPHI_space bis zu Haltestellen und eben diversen Locations im Seepark. Der Park, so schreibt Kommoss im Booklet zur Ausstellung, fungiere gleichermaßen als Ordnungsrahmen und als Experimentierfeld des gesellschaftlichen Zusammenlebens in der Stadt.
Das Genfer Performance-Duo lo.me machte hier gleich am ersten Abend Ernst mit der Verunsicherung, die sich einstellt, wenn Regeln außer Kraft gesetzt werden. Mit entschlossenem Blick wärmten sich die beiden hier in schwarzen Kickboxing-Outfits gut eine Stunde lang für eine Aktion auf, die sich am Ende in der bloßen Erwartung erschöpfte, dass sie irgendwann tatsächlich passieren würde. Das stumme Warten wurde hier zu einer gemeinschaftlichen Erfahrung, die die Sinne schärfte für das, was die Straße ist, die diese Biennale meint: ein Ort der gelebten Öffentlichkeit und damit ein politischer Raum.
Wie zum Beweis scheppern dazu derzeit erregte Stimmen aus einem Fenster im Bürgerhaus am Seepark. „Chaos mit System!“, fordern sie und „Haschisch für alle!“ 1982 hatten sich ein paar Leute aus der lokalen Hausbesetzerszene in einer gut gelaunten Wahlkampagne als Kandidaten für den Freiburger Gemeinderat vorgestellt. Die Medienwerkstatt, selbst Teil dieser Szene, dokumentierte die Auftritte, wie auch andere Demos, Aktionen, Proteste.
Nicht wenige der Akteure von damals gehörten später zu den politischen Entscheidungsträgern in der Stadt. „In Freiburg gibt es eine große Kontinuität des Gebrauchs der Straße durch soziale Bewegungen“, sagt Paula Kommoss, die von der Frankfurter Städelschule nach Freiburg kam. Ihr Blick von außen und ihr intenives Interesse an Kooperationen mit lokalen Archiven und Geschichtswerkstätten machen ihre Biennale zu einer spannenden Exkursion in die politische und gesellschaftliche Archäologie Freiburgs. „Reclaim The City“, schon damals lautstark der Mehrheitsgesellschaft entgegen gerufen, entpuppte sich später als wirksamer Ruf nach Teilhabe. Auch aktuell wird in Freiburg eine erbitterte Auseinandersetzung geführt zwischen Jugendlichen, die sich auf Straße treffen und dort ohne Konsumzwang abhängen oder feiern wollen, und Anwohner:innen, die ihr Eigentum schützen und das aus ihrer Sicht damit verbundene Recht auf Ruhe im Quartier durchsetzen wollen. Der Konflikt ist noch nicht entschärft, Polizeieinsätze, Partyguerilla-Aktionen und runde Tische halten sich die Waage – es geht um Verhandlungsspielräume im öffentlichen Raum. Nachttanzdemos, so ließe sich daraus heute folgern, können lästig und ärgerlich sein – aber auch am Anfang ungeahnter Erfolgsgeschichten stehen, die in die Mitte der Gesellschaft führen.
Paula Kommoss nähert sich der Straße als politischem Raum aus den unterschiedlichsten Richtungen. Was sie an dem Thema interessiere, sagt sie, seien „die Brüche, entlang derer sich unsere Gesellschaft entwickelt“. In der zentralen Ausstellung im Kunstverein Freiburg zeigt sie Zeichnungen und Auto-Design-Patente der von den Nazis verfemten Freiburger Bildhauerin Eva Eisenlohr, die in der 1970er Jahren in einem Akt künstlerischer Selbstermächtigung auch schon mal ungefragt eine ihrer Skulpturen im Stadtraum platzierte. Ausgehend von der Freiburger NS-Akte zu Eisenlohrs als „entartet“ beschlagnahmten Bildern hat die Düsseldorfer Künstlerin Maximiliane Baumgartner für die Biennale eine Wandzeitung entwickelt, eine Malereiinstallation für den Musikpavillon im Stadtgarten sowie eine mobile Flugblattwerkstatt, die derzeit im Kunstverein auf ihren Straßeneinsatz im Juli wartet. Sie parkt dort unter zwei von der Decke hängenden Packpapier-Displays von Kirti Ingerfurth, vollgekritzelt mit konsumkritischen Notizen, eigensinnig wie die auf der Galerie präsentierten Bettelbriefe, mit denen der polnische Outsider-Künstler Nikifor Krynicki in den 1930er Jahren Passanten um Unterstützung bat. In den Strom seiner Worte mischt sich der Sound der Straße, aus dem Außenraum übertragen und von dem US-Amerikaner Cudelice Brazelton IV zu einer Klanglandschaft gesampelt, die eine nervöse Soundkulisse liefert zu Hito Steyerls packender Videoarbeit „Die leere Mitte“ über die Kommerzialisierung von Erinnerung am Beispiel der Entwicklung des Potsdamer Platzes in Berlin vom Todesstreifen zur Event- und Büromeile.
Schwer zu fassen: Die vielschichtige, klug kuratierte Ausstellung im Kunstverein erzählt lediglich eine von einem Dutzend Strophen. Das ganze „Lied der Straße“, das diese Biennale singt, ist nur zu haben, wenn man ihren verschlungenen Wegen quer durch die Stadt folgt.