Renaissance 3.0 – Ein Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert: Zwischen Labor und Atelier

Renaissance 3.0
Thomas Feuerstein, METABOLICA Camp, 2023, Courtesy the artist,alle © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß
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6. Juli 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Renaissance 3.0 – Ein Basislager für neue Allianzenvon Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert.
ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 7. Januar 2024.
www.zkm.de

Renaissance3.0
Peter Weibel & Christian Lölkes, Wissensfeld, 2023, © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß
Renaissance 3.0
Tomás Saraceno, Algo-r(h)i(y)thms, 2023, Courtesy the artist, © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Felix Grünschloß

Alle fünf Sekunden schwirrt derzeit ein neuer Ton durch den Lichthof des ZKM, mal watteweich, mal schnarrend verzerrt oder in cartoonhaften Klangbildern. Quelle ist eine elektronisch gesteuerte Standuhr, die per Zufallsgenerator aus einem unendlichen Repertoire an digitalen Sounds eine Klangfolge ohne Anfang und Ende sortiert. Die Idee zu dieser „Zwölftonuhr“ stammt von Peter Weibel, dem im März 2023 verstorbenen, langjährigen Leiter des ZKM, realisiert wurde sie von Götz Dipper und Bernd Lintermann für das umfangreiche Ausstellungsprojekt „Renaissance 3.0“, mit dem sich Weibel eigentlich in den Ruhestand verabschieden wollte, doch die Eröffnung erlebte er nicht mehr.

Nun steht der Musikautomat einsam an der Wand wie eine Stempeluhr und während die Töne ihre Bahnen ziehen zwischen den gut drei Dutzend Arbeiten, die Weibel hier für sein kuratorisches Vermächtnis zusammengetragen hat, wird man den Eindruck nicht los, dass das unscheinbare Gerät für vieles steht, was das ZKM unter seiner Leitung zu einem inspirierenden und oft auch herausfordernden Ort machte. Für die Gleichzeitigkeit von Poesie, Entgrenzung und Monumentalität etwa, von Nerdtum und Weitblick. Vor allem prägte Weibel das Haus mit seiner rastlosen Suche nach den Spuren, die Wissenschaft und Technik in der Entwicklung der Kunst hinterlassen haben und werden – und umgekehrt. Das produktive Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Konzepte von Weltaneignung war ein zentrales Anliegen seiner Arbeit. Für seine Schau sortierte er deshalb nun noch einmal das Material, das eine Beschreibung dieses multidisziplinären Feldes erlauben und zugleich den Weg in die Zukunft weisen sollte. Ein „Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert“ verspricht gewohnt bildstark der Untertitel, ausgestattet ist es mit kompakt geschnürten Beispielen aus der Geschichte der Verwissenschaftlichung der Kunst im Namen des technologischen Fortschritts, ohne die weder die um 800 n.Chr. einsetzende arabische Renaissance noch die italienische Renaissance denkbar gewesen wäre. Farbsatte Konstruktionszeichnungen von Schöpfwerken oder Wasseruhren des mesopotamischen Ingenieurs Al-Jazari aus dem 12. Jahrhundert zeugen davon ebenso wie Leonardo da Vincis Traktate über Malerei und Kriegshandwerk.  

Mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche sind die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft heute durchlässiger denn je. Diese Verschränkung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf unsere Lebenswirklichkeit. Viele der Arbeiten, die in Karlsruhe zu sehen sind, machen auf bemerkenswerte Weise Ernst mit der Forderung nach Technologieoffenheit, ohne dabei die Krisen aus dem Blick zu verlieren, die die digitale Moderne schon jetzt zunehmend produziert. Im ersten Moment ist dabei oft nur schwer zu entscheiden ist, ob man es mit einer künstlerischen Arbeit zu tun hat oder einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung, einer wandfüllenden Visualisierung von Rechenprozessen oder einer Testkammer für audiovisuelle Grenzerfahrungen, die das Gehirn stimulieren. Wie in der hypnotischen Multimedia-Arbeit „Autopoiesis“, die das Atelier-E in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut IAO entwickelt hat, sind Kunst und Wissenschaft in den meisten Arbeiten untrennbar miteinander verwoben. In Tomás Saracenos Pavillon bewegen sich die Besucher durch ein dichtes Saitengeflecht, dessen Klang sinnlich erfahrbar macht, wie sich Spinnen im Raum orientieren. In einem Labor nebenan produziert Thomas Feuerstein aus fermentierten Algen biologisch abbaubaren Kunststoff, den er per 3D-Drucker zu Fragmentkopien von Michelangelos „David“ verarbeitet. Und während Lynn Hershman Leeson ihre Recherchen über die biogenetische Produktion von Organen auf einem zukunftsweisenden DNA-Sample abgespeichert hat, präsentiert Sasa Spacal mit „Earthlink“ eine Art begehbare künstliche Lunge, aktiviert von Mikrobakterien und der Atemluft des Publikums. Am Ende wartet mit „Wissensfeld“ die letzte Arbeit, die Kurator Peter Weibel als Künstler realisiert hat, zusammen mit Christian Lölkes und der Künstlichen Intelligenz ChatGPT. Die Rauminstallation lässt sich als eine Art interaktiver Index des Weibelschen Kosmos entziffern, ständig in Bewegung und getrieben von der Neugier auf morgen.