Maja Bekan, P for Performance. All about us: Werkzeug der sozialen Praxis

Maja Bekan
Maja Bekan und Gunndos Yr Finnbogadottir, What if we started making less and reusing more?, TENT, Rotterdam 2022, Foto: Aad Hoogendoom, courtesy the artists
Review > Karlsruhe > Badischer Kunstverein
28. Juni 2023
Text: Chris Gerbing

Maja Bekan, P for Performance: All about us.
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 2. Juli 2023.
Jeden Mittwoch um 18.00 Uhr Aktivierung der Installation im Lichthof des Kunstvereins.

Maja Bekan
Maja Bekan, P for Performance: Throw like a Girl, TENT, Rotterdam 2022
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Maja Bekan und Gunndos Yr Finnbogadottir, What if we started making less and reusing more?, TENT, Rotterdam 2022, Fotos: Aad Hoogendoom, courtesy the artists

In einem 2015 im „Observer“ veröffentlichten Artikel konstatierte Robert Wilson, Performances wären, einer Sternschnuppe vergleichbar, Events unserer Zeit, weil sie für den Moment gemacht sind. Jeder Performance haftet das Moment des Spontanen, Unmittelbaren, Irreversiblen an, Performances sind nur bis zu einem bestimmten Grad im Voraus kalkulier- und planbar. Doch wie lässt sich flüchtiges, zeitbasiertes Kunstschaffen auch über den Moment hinaus festhalten und damit ausstellen? Videoaufnahmen, aber auch Reenactments, also möglichst getreue Nachstellungen einer Performance, sind wohl die authentischsten Möglichkeiten. Damit hat der Badische Kunstverein bereits einiges an Erfahrung, denn die aktuelle Ausstellung „P for Performance: All about us“ mit Werken von Maja Bekan (*1975) steht in einer Abfolge, bei der Performance als historische Recherche, als Lecture-Projekt und als Hinterfragung der Realität verstanden wurde. Bekan ergänzt diese Liste um eine weitere Facette, denn für sie ist die Performance ein Werkzeug der sozialen Praxis.

Wer aktuell den großen Oberlichtsaal des Kunstvereins betritt, sieht zuerst einen goldfarbenen Vorhang, der den Blick auf den roten Teppich – beides Teil des speziell dafür konstruierten Settings – sowie auf das dahinter befindliche Video versperrt. Der Film ist „nicht Archiv, sondern Teil meiner Arbeit, mit dem die Ausstellungsorte miteinander verbunden sind“, betont die Künstlerin. Deutlich wird dies auch in Karlsruhe, denn Bekan inszenierte eine Probe in genanntem Setting ihrer jüngsten Performance „Throw Like a Girl“ (2022), die sonst über das Video in den Ausstellungsraum gespielt wird. Künstlerinnen und Soldatinnen trafen mehrfach aufeinander und erörterten die Verbindungen, die zwischen Kunst, Feminismus und Konflikten bestehen, aber auch die Möglichkeiten jeder Einzelnen für die persönliche Entwicklung und Emanzipation in bis heute recht männerdominierten und doch gänzlich unterschiedlichen Lebenswelten. Die Arbeit zeigt prototypisch, dass sich die in den Niederlanden lebende gebürtige Serbin seit vielen Jahren mit Frauen auseinandersetzt, die in ungewöhnlichen, schwierigen, nicht weiblich konnotierten Kontexten arbeiten, die dadurch zu „Unruhestiftern“ werden, „weil sie sich mit ihrer Art, in der Umgebung, in der sie sich befinden, in Widerspruch zu gängigen Frauenbildern befinden“. Damit untersucht Bekan nicht nur Rollenmodelle, sondern auch ihre Funktion und wie sie scheitern können: „Dabei stimuliert die Umgebung den Prozess“.

Konkret sieht das im Badischen Kunstverein so aus, dass es im Waldstraßensaal zudem eine Bühne für ihr neuestes Performance-Projekt gibt. Dort begegnen Frauen aus dem Europäischen Ausbildungszentrum für nukleare Sicherheit am Joint Research Centre in Karlsruhe Künstlerinnen und Künstlern. Sie tauschen sich über ihre Berufe und Lebensentwürfe aus. Gleichzeitig lenkt Bekan den Blick auf eine EU-Institution mit hohem Prestige und geringem Bekanntheitsgrad. Hierarchie, berufliche Aufgabe, soziale Stellung werden in den „öffentlichen Proben“ negiert zugunsten einer Zusammenkunft, bei der getanzt, geredet und gelacht wird, bei der eine „kollektive Intimität“ entsteht, die das Private wie das Öffentliche kritisch hinterfragt. Das dabei entstehende Filmmaterial wird dann wiederum in der nächsten Ausstellung präsentiert und schlägt den Bogen von einer zur anderen Institution. Zugleich beinhaltet diese Vorgehensweise das Moment der Unfertigkeit, weil die Vollendung der Performance in anderem Medium und an anderem Ort stattfindet. Selbstermächtigung und Selbstorganisation, Fürsorge und Solidarität sind wichtige Aspekte der Arbeit von Maja Bekan Arbeit, egal, ob es sich um die eigene Familie, Soldatinnen oder Wissenschaftlerinnen handelt – Hauptsache, sie sind Fremde im Kunstbetrieb, befinden sich in einem anderen Lebenskonzept.