Trace – Formations of Likeness: Spuren einer Sammlungsgeschichte

Traces
Zanele Muholi, Miss D’vine II, 2007, © Zanele Muholi, Courtesy The Walther Collection, Neu-Ulm / New York
Review > München > Haus der Kunst
27. Juni 2023
Text: Roberta De Righi

Trace – Formations of Likeness. Fotografien und Videos aus der Walther Collection.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 23. Juli 2023.
www.hausderkunst.de

Traces
Trace – Formations of Likeness, Ausstellungsansichten im Haus der Kunst mit Arbeiten von J.D.‘Okhai Ojeikere, 1971-1975, Foto: Maximilian Geuter, Courtesy The Walther Collection, Neu-Ulm / New York
Traces
Seydou Keïta, Untitled, 1952-1955, © Seydou Keïta; Trace, Courtesy The Walther Collection, Neu-Ulm / New York

Wenn ein Ex-Investment-Banker, der an der Wall Street viel Geld verdient hat, dieses seit 2010 in eine Stiftung für Fotografie steckt und er etwa Aufnahmen der Occupy-Wall-Street-Proteste von 2011/12 sammelt, muss er weder Zyniker noch Büßer sein. Aber Maniac: Artur Walther, 1948 geboren und aufgewachsen in Burlafingen bei Neu-Ulm, wohnhaft am Hudson River, ist eine ungewöhnliche Sammlerpersönlichkeit. Die Leader-Mentalität steckt noch im Auftreten des einstigen Goldman-Sachs-Partners. Doch Artur Walther ist zugleich zugewandt und bodenständig. Er stieg 1994 aus dem Bank-Business aus, entdeckte seine Leidenschaft für Fotografie und begann, eine so umfangreiche wie avancierte Kollektion aufzubauen.

Unter dem Titel „Trace – Formations of Likeness“ präsentiert jetzt das Münchner Haus der Kunst ein weites Panorama der Walther Collection, die mit Bernd und Hilla Becher und der Neuen Sachlichkeit begann, neben Foto-Kunst auch Gebrauchs- und vernakulare Fotografie ohne überlieferte Autorschaft einbezieht und mit der Gegenwart in Asien und Afrika noch lange nicht endet. Sie bietet nicht nur eine Reise durch drei Jahrhunderte und mehrere Kontinente, sondern ist auch eine Hommage an den verstorbenen Haus der Kunst-Direktor Okwui Enwezor, der für Walther Berater und Freund war.

Technisch führt der Weg von der Daguerreotypie zum Bewegtbild. Der inhaltliche Fokus liegt auf Bildern vom Menschen im Spannungsfeld von Machtverhältnissen, Repräsentationsmustern und Identitäten samt aller Aspekte von Geschlecht und Race. Gerade in der Gegenüberstellung von Klassikern wie August Sander etwa mit Porträts, die Seydou Keïta zwischen 1949 und 1960 in seinem Studio in Bamako in Mali schuf, ist die Präsentation konsequent und der Ansatz horizonterweiternd. Wenn auch das Konzept sich unterscheidet: Während Sander die Menschen als Stellvertreter ihres Standes ablichtete, war Keïtas Ziel das individuell repräsentative Bildnis. Auffallend ist der fast schmerzhafte Ernst, mit dem seine Protagonisten in die Kamera blicken. Dagegen ist Malick Sidibés tanzendes Paar an Weihnachten 1963 von heilsamer Entrücktheit.

Gleich am Anfang begegnet einem neben Blossfeldts „Urformen der Kunst“ die eindrucksvolle Serie von J.D.‘Okhai Ojeikere, der 1968 begann, die unendlich vielfältigen Flecht-Frisuren der Frauen in Nigeria zu dokumentieren. Muhammad Ali, Patrice Lumumba, Nelson Mandela – für „African Spirits“ schlüpfte Samuel Fosso aus Kamerun selbst in Posen und Habits prägender People-of-Color-Persönlichkeiten. Zanele Muholi wiederum porträtiert seit 2006 die südafrikanische LGBTQ+-Community; Leerstellen symbolisieren das Risiko, das dies für die Dargestellten bedeutet. Beklemmend sind die hilflosen Drohgebärden von Kindersoldaten der Mai-Mai-Miliz in der Demokratischen Republik Kongo vor der Kamera von Guy Tillim. Und auch Aida Silvestris Serie „Even This Will Pass“ über äthiopische Migranten in London brennt sich ein: Unscharfe Porträts, denen Fluchtrouten eingenäht sind.

Fotografie aus China ist ebenfalls wesentlicher Teil der Kollektion, darunter Xu Yongs eindringliche Serie „This Face“: Er nahm das Gesicht einer Sexarbei­terin in Peking einen Tag lang auf und macht alle Nuancen zwischen Müdigkeit und Abstumpfung sichtbar. Und Yang Fudong hielt ein fast apokalyptisch wirkendes ländliches China fest. Auch Tatorte (post-)kolonialer Grausamkeiten sind festgehalten, etwa wenn Santu Mofokeng Massengräber in Mosambik aufspürt und Pieter Hugo in „Permanent Error“ die Menschen inmitten einer gefährlichen Müllhalde mit Elektroschrott in Accra porträtiert, auf der sie leben. Candice Breitz zeigt schließlich den schmalen Grat, auf dem sich der eurozentrisch gefärbte Blick auf das fremde, faszinierende Andere bewegt. In „Ghost Series“ löscht sie die Identität schwarzer Südafrikanerinnen in Tracht mit Tipp-Ex aus, so dass nur Folklore sichtbar bleibt.