Fantastische Tierwelten in der Kunst: Zu Tode geliebt

Tierwelten
Oska Gutheil, Hunting stripes, 2022, © Oska Gutheil, Courtesy Russi Klenner Galerie Berlin
Review > Heidenheim > Kunstmuseum Heidenheim
1. Juni 2023
Text: Florian L. Arnold

Fantastische Tierwelten in der Kunst.
Kunstmuseum Heidenheim, Hermann Voith Galerie, Marienstr. 4, Heidenheim.
Dienstag bis Sonntag 11.0 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 13.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 23. Juli 2023.
www.kunstmuseum-heidenheim.de

Tierwelten
Eckart Hahn, Robin, 2022, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Tierwelten
Tanja Fender, Mausgeburt, 2016, © Tanja Fender, VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Tierwelten
Claire Morgan, Natural Causes, 2022, © Claire Morgan, Courtesy Galerie Karsten Greve, Köln, Paris, St. Moritz, Foto: John McKenzie

Es ist wohl die katastrophalste Liebe, die es menschlicherseits gibt: Die Liebe zum Tier. Sie geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. Auch das, was der Mensch mit den Lebensräumen der meisten Spezies auf diesem Planeten anrichtet, ist keine Ruhmestat. Entsprechend zeigt die Ausstellung „Fantastische Tierwelten“ in Heidenheim Bezüge zwischen Tier und Mensch, die auf kritische Aspekte eingehen. Und doch ist diese Schau mit den Exponaten von 24 Gegenwartskunstschaffenden sowie mit ausgesuchten Stücken aus den Historischen Sammlungen der Stadt Heidenheim voller augenzwinkernder Momente, deckt alle Aspekte einer komplexen, selten einfachen Beziehung ab.

Der Blick ins Historische zeigt zunächst einmal Mensch-Tier-Mischwesen, in deren Darstellung das Menschsein durch Abgrenzung vom Tierreich definiert ist. An anderer Stelle, etwa bei Fetischen aus der Südsee, ist das Übernatürliche, das Göttliche im Vordergrund. Einhorn, Drache, Tierwächter standen für die Natur, das Unbeherrschbare, ebenso für den Glauben der Naturvölker, die im Tier nichts Untergeordnetes sahen. Die Gegenwart findet einen gallbitteren, zugleich böse-komischen Niederschlag in den Gemälden von Juliane Hundertmark. Hier sehen wir ein radikales Einreißen der Grenzen der Spezies. Ein hundeköpfiger Messias versammelt eine ebensolche Mensch-Tier-Zwitterwesen-Gesellschaft um sich. Aufruhr liegt in der Luft. Das Vertraute wird unheimlich, bedrohlich. Ähnlich direkt geht Thomas Grünfeld ans Unbehagen des Betrachters heran. „Misfits“ nennt er seine aus Tierpräparaten bestehenden Werke: so sitzt der (konservierte) Kopf eines Rottweilers auf einem Schafskörper. Eine Katze und ein Vogel sind so schlüssig miteinander verschmolzen als betrachtete man ein skrupelloses Genexperiment. Mit frappanter Materialität und Lebensnähe jongliert Grünfeld schmerzlich bohrende Ethikfragen: Wie oft wird der Mensch noch Gott spielen, bevor er sein fatales Verhalten ändert? Es geht aber auch eine Note heiterer: Sophia Süßmilchs Gemälde changieren zwischen erzählerisch-dichten Wimmelbildern, deren Details zu entdecken sich lohnen, und irritierenden „Porträts“. Die „Löwenmutter“ konfrontiert als weibliches Pendant das Eiszeit-Kunstwerk Löwenmensch, der als Replika in der Ausstellung zu sehen ist. Während dieser aber die Menschwerdung des Tieres zu sein scheint, ist Süßmilchs Löwenmutter die Tierwerdung des Menschen. Alptraumhaftes wird man in der Schau entdecken, etwa das auf Dinosaurier-Maß vergrößerte Hühnerskelett von Andreas Greiner im Eingangsbereich. In ihrer Arbeit „Schuppentier“ zeigt Tanja Fender die Ausbeutung des Tieres durch den Menschen: Zu sehen ist ein nacktes Wesen, umgeben von seinen ausgerissenen Schuppen. Fender reagiert auf das allen Verboten zum Trotz stattfindende Ausreißen der Schuppen des bedrohten Tieres, indem sie ihre realgetreue Schuppentier-Nachbildung wie einen Menschen weinen und Schmerzen zeigen lässt. Es gibt aber auch Traumhaftes, Schönes, Poetisches. Maximilian Prüfers Vanitas-Motive zeigen eine erstaunliche Leichtigkeit. Corinna Schnitts Videoarbeit „Once upon a time“ beginnt mit einem leeren, wohnlichen Raum, in den nach und nach immer mehr Tiere hineingelassen werden. Ihrem jeweiligen Naturell zerlegt die gefiederte oder pelzige Schar das Inventar, die Kamera verfolgt das erstaunlich leise vor sich gehende Zerstörungswerk in einer kontinuierlichen Drehbewegung.

Starke malerische Positionen wie der fabelhafte Realismus von Eckart Hahn oder Hartmut Kiewert ergänzen die skulpturalen und installativen Positionen ideal. Und auch für das Versponnene ist Platz: der abstrus-komische Kosmos von Ingrid Butschek macht aus dem Unbehagen über ausgerottete Arten eine Art sardonisch lachendes Spektakel. Da kreuzen sich auch Tierarten mit menschlichen Geräten und Hinterlassenschaften, eine Art Frankenstein’scher Alptraum 4.0. – den als düster-faszinierendes Interieur auch Mary-Audrey Ramirez‘ „Keeper’s Garden“ vorstellt. „Fantastische Tierwelten“ erkundet in eindrücklichen, gut abgestimmten Positionen eine staunenswerte formale und inhaltliche Bandbreite – und ist, inmitten der Debatte um Nachhaltigkeit und unseren Umgang mit dem „Nutztier“, brandaktuell.