Tschabalala Self, Inside out: Das Private ist nicht nur privat

Tschabalala Self
Tschabalala Self, Inside Out, Installationsansicht Kunstmuseum St. Gallen, 2023, Foto: Stefan Altenburger
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30. Mai 2023
Text: Annette Hoffmann

Tschabalala Self: Inside Out.
Kunstmuseum St. Gallen, Museumstr. 32, St. Gallen.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 18. Juni 2023.
www.kunstmuseumsg.ch

Tschabala Self
Tschabalala Self, Inside Out, Installationsansicht Kunstmuseum St. Gallen, 2023, Foto: Stefan Altenburger

In Tschabalala Selfs Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen „Inside Out“ kann es passieren, dass man einen Moment glaubt, ihren Vornamen zu hören. Dabei ist es nur ein Refrain im Video ihrer Performance „Sounding Board“, die 2021 Premiere hatte und jetzt im Vorraum der Ausstellung zu sehen ist. Passen würde es. Denn Tschabalala Self (*1990) ist in dieser Soloschau omnipräsent. Die afroamerikanische Künstlerin hat das Skript dieses Singspiels geschrieben, Regie geführt und die Kostüme entworfen und wer an den Wänden der Ausstellungsräume die Titel ihrer Arbeiten sucht, wird zugleich ihre Kommentare zu den Bildern und Skulpturen lesen. Und die sind überraschend psychologisch. Etwas, was man in der Gegenwartskunst nicht eben oft antrifft und nur noch für eine Angelegenheit der großen Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts hielt.

Dass Self der Kontext ihrer Darstellungen afroamerikanischer Männer und Frauen wichtig ist, kommt nicht von Ungefähr. Im klassizistischen Treppenhaus, das die Besucherinnen und Besucher zur Ausstellung führt, inszeniert sich das 19. Jahrhundert und das war weiß, männlich und schweizerisch. Und da Rassismus in alle Lebensbereiche greift, ist das Private bei Tschabalala Self politisch. Ihre Werkgruppe der Sitzenden – die Siebdrucke finden ihre Entsprechungen in Skulpturen – feiert Freizeit als Form der Gleichberechtigung. Wer sitzt, arbeitet nicht, wird nicht ausgebeutet und unterliegt nicht mehr den Jim-Crow-Gesetzen, die es Schwarzen in den USA bis in die 1960er Jahre verboten, sich im öffentlichen Raum auf einer Parkbank niederzulassen. Die Frauen und Männer auf Selfs Siebdrucken beanspruchen Sichtbarkeit für sich, ihre Skulpturen zudem Raum. Und oft gehen ihre Körper mit dem Stuhl eine enge Verbindung ein, Spiralen enden in Schuhen, manchmal bilden sie eine Armlehne.

Tatsächlich sind Selfs figurative Darstellungen nicht homogen. Während sie sich in ihrem Studium am Bard College und der Yale School of Art ausgiebig mit Drucktechniken befasste, übersetzt sie nach ihrem Abschluss Schichten in Textilarbeiten. So baut sie aus mehreren verschiedenen Stoffen Körper auf, hält diese mit Nähten zusammen, die oft Plastizität schaffen, aber auch eine zeichnerische Funktion im Sinne der Linie haben. Sind diese Lagen miteinander verbunden, aber dennoch als verschiedenartige Stoffe zu erkennen, beginnt Self, sie zu bemalen. Die Farbe modelliert diese Körper zusätzlich. Ein männlicher Oberkörper besteht aus Polka Dots. Spitze und Stoffe mit einem marmorierten Muster formen diese Körper, die sie verfremden und so von Zuschreibungen befreien. Oder die sie übertreiben, so reflektieren die ausladenden Kurven die Klischees von Schwarzen Körpern. Bei manchen ihrer Motive ahnt man noch die Bildtradition, die Frauen, insbesondere dunkelhäutige Frauen, zum Objekt machte. „Candy“ von 2021 etwa bezieht sich auf ein Bild Picassos. Doch auch die Popkultur kann übergriffig sein.

Das Material Stoff gibt einen familiären, intimen Ton vor, der mit den Körpern korrespondiert – es sind oft Akte, zumindest aber Momente der Innerlichkeit und des Bei-sich-Seins. Tschabalala Self versteht ihre Figuren nicht als Porträts, sondern als ein „Pantheon von erfundenen Charakteren“. Und da sich die gleichen Stoffdessins auf verschiedenen Arbeiten finden, entsteht auch auf dieser Ebene eine Verwandtschaft. Die Figuren stehen in Beziehungen zu anderen, oft sind es Liebesverhältnisse zwischen Männern und Frauen, die mal mehr, mal weniger ideal und symmetrisch sind. Und dann sind da noch die Schatten, die manche Figuren werfen und in denen sich etwas von ihrer Wesenhaftigkeit spiegelt, sei es ihre Sehnsucht, ein anderes Leben oder ihre Einsamkeit. Paare sind mitunter nicht auf einer gemeinsamen Bildfläche dargestellt, sondern wie „Dreamers 1+2“ als Diptychon. Die Künstlerin versichert uns, dass sie voneinander träumen.