Nicole Eisenman, What Happened: She can!

Nicole Eisenman
Nicole Eisenman, Heading Down River on the USS J-Bone of an Ass, 2017, Sammlung Familie Ovitz, Los Angeles, © Nicole Eisenman, Courtesy the artist & Hauser & Wirth
Review > München > Museum Brandhorst
26. Mai 2023
Text: Jürgen Moises

Nicole Eisenman. What Happened.
Museum Brandhorst, Theresienstr. 35a, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr. Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 10. September 2023.
www.museum-brandhorst.de

Nicole Eisenman
Nicole Eisenman, Ausstellungsansicht Museum Brandhorst, 2023, Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, © Nicole Eisenman, Courtesy the artist & Hauser & Wirth
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Nicole Eisenman, Beer Garden with A.K., 2009, De Ying Stiftung, © Nicole Eisenman, Courtesy the artist & Hauser & Wirth
Nicole Eisenman
Nicole Eisenman, Selfie, 2014, Sammlung Stephanie und Timothy Ingrassia © Nicole Eisenman, Courtesy the artist & Hauser & Wirth

Als Barack Obama im Jahr 2009 sein Amt als US-Präsident antrat, tat er das mit dem Versprechen „Yes We Can!“. Auf Nicole Eisenmans Gemälde „The Triumph Of Poverty“ aus demselben Jahr ist von diesem Optimismus nichts zu spüren. „We‘re screwed“, „Wir sind am Arsch“, heißt hier stattdessen die Devise, die den Protagonisten auf dem Bild der US-Künstlerin ins Gesicht geschrieben steht. Das Personal: Ein abgehalfterter Zylinderträger, der seinen heraushängenden Hintern vorne trägt. Eine nackte Frau mit geflickter Haut in einem alten Auto. Ein Mädchen in zerlumpter Kleidung mit einer Schüssel in der Hand. An einem Strick führt der Zylinderträger zudem eine Gruppe von Miniaturmenschen in altertümlicher Kleidung. Man kennt diese Figuren. Sie sind dem Gemälde „Der Blindensturz“ (1568) von Pieter Bruegel entnommen. Ein Zitat wie man sie viele bei Eisenman findet, der das Museum Brandhorst in München derzeit mit der tollen Schau „What Happened“ die bisher größte Retrospektive in Europa widmet.

Der Grund für den gemalten Fatalismus? Der hatte mit Obama nichts zu tun. Denn „am Arsch“ waren die USA damals wegen der Finanzkrise und der folgenden Rezension, von der sich das Land bis heute nicht erholt hat. Wobei es viele dort auch davor nicht so ganz leicht hatten, etwa dann, wenn sie wie die 1965 geborene Eisenman eine Frau und lesbisch waren. Auch das ist ein Thema auf den rund 100 ausgestellten Werken, deren früheste von 1992 stammen. Seit dieser Zeit lebt Eisenman in New York. Sie hat sich aus der New Yorker Downtown-Szene und lesbischen Subkultur zum internationalen Kunststar emporgearbeitet. Und das ging nicht ohne Kämpfe und innere Blessuren. „The Humiliation of Being an Artist“ heißt eine zwischen 1996 und 2011 entstandene Collage, auf der man sie gebückt mit Stift und Pinsel am Revers durch eine Straße laufen sieht.

Eisenmans bissige Ironie macht auch vor ihr selbst nicht Halt. Und trotzdem gibt es da Hoffnung, eine Liebe für die Außenseiter und geschundenen Kreaturen. Für die Kunst brauche man Optimismus, hat die Amerikanerin gesagt, die sich nicht nur als lesbische Frau, sondern auch als Malerin im US-Kunstmarkt der Neunziger als Außenseiterin sah. Ihre Vorbilder zog sie sich aus der Subkultur, dem Comic, aus der italienischen und holländischen Malerei und später auch der deutschen Kunst, vom Expressionismus bis zu Sigmar Polke. Mit diesem Besteck ging Eisenman zunächst gegen die Männerwelt an. Auf den Wimmelbildern der „Foos Ball Trilogy“ von 1996 spießen Amazonen Piraten auf langen Stangen auf und machen Kicker-Figuren aus ihnen. Auf „Hunting“ und „Fishing“ von 2000 benutzen jagende Frauen irgendwo im Eis Männer als Köder.

Ein Symbolbild der amerikanischen Sommerkultur nimmt der „Limonadenstand“ von 1994 aufs Korn. Statt mit Limonade füllen junge Pfadfinder ihre Krüge mit Urin. Das Besondere: Der Aufbau des Bildes, der mit seiner Tiefenstaffellung an manieristische Gemälde erinnert. In den Nullerjahren werden Eisenmans Bilder expressionistischer. Und zur zentralen Frage wird: Wie halten es Menschen trotz allem miteinander aus? Sie arrangieren sich, wie „Coping“ von 2008 nahelegt. Hier bewegen sich Menschen auf der Straße recht gelassen wirkend durch eine braune Brühe, die symbolisch für die „beschissene Lage“ steht. Auf „Seder“ macht Eisenman ihre deutsch-jüdische Herkunft zum Thema und auf zwei „Beer Garden“-Bildern treffen sich die Menschen gemeinsam einsam zum Bier. Auf den aktuellsten Bildern ist die Einsamkeit vor den digitalen Bildschirmen das Thema. Und auch hier ist es beeindruckend, wie Eisenman Karikatur und Realismus, bissigen Humor und Sympathie stimmig zusammenbringt. Schräge Skulpturen gibt es auch. Aus mehreren davon hat Eisenman 2019 eine „Prozession“ gebastelt, die wie eine Überführung ihres Gemäldes „The Triumph Of Poverty“ in die dritte Dimension wirkt. Ein dunkler Riese zieht einen Wagen, auf dem eine furzende Figur kniet. Ein Stück weiter hinten liegt ein Weißkopfseeadler, das Wappentier Amerikas, müde in einer Kiste. Armes Amerika. Glückliches Amerika, solange es Künstlerinnen wie Nicole Eisenman hat.