Shift, KI und eine zukünftige Gemeinschaft: das Ohr an der Künstlischen Intelligenz

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Christian Kosmas Mayer, Mrs. Conant, 2021 / Master Herrod, 2021, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Installationsansichten Kunstmuseum Stuttgart, 2023, Foto: Gerhard Uhlmann
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10. Mai 2023
Text: Annette Hoffmann

Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft.
Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch und Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 21. Mai 2023.
www.kunstmuseum-stuttgart.de

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kennedy+swan, in vivo – in vitro –in silico (Still), 2022, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Installationsansichten Kunstmuseum Stuttgart, 2023, Foto: Gerhard Uhlmann
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Hito Steyerl, SocialSim, 2020, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Installationsansichten Kunstmuseum Stuttgart, 2023, Foto: Gerhard Uhlmann

Als im 19. Jahrhundert die Fotografie populärer wurde, tauchten die Geister auf. Sie gesellten sich zu jenen, die sich porträtieren ließen. Manchmal waren sie eine helle Scheme auf der Aufnahme, oft kaum mehr als eine Licht­erscheinung, dann wieder eine Person mit identifizierbaren Zügen. Besonders oft traten sie auf den Fotografien des Amerikaners William H. Mumler auf. Viele hatten während des Sezessionskrieges jemanden verloren, die Sehnsucht war groß, mit den Verstorbenen in Verbindung zu treten. Und ein bisschen unheimlich war diese neue Technik schon auch, denn wenn sie Lebende auf Papier festhalten konnte, warum dann nicht auch Tote. Mumler wurde wegen Betrugs angeklagt, doch da man ihm nicht auf die Schliche kam, wie er seine Doppelbelichtungen bewerkstelligte, sprach man ihn frei.

In Zeiten medialer Umbrüche glaubt man leichter an Geister, es gibt aber auch Menschen, die dies für ihre Betrügereien nutzen. Christian Kosmas Mayer (*1976) hat Mumlers Fotografien für eine Serie von Porträts aufgegriffen. Nähert man sich in der Ausstellung „Shift. KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ im Kunstmuseum Stuttgart den Reproduktionen der historischen Aufnahmen, werden sie lebendig. Hinter sich die Geistererscheinung, blinzeln ihre Augen und die Lippen bewegen sich tonlos. Wir hören also nicht, was sie uns vielleicht zu sagen haben und überhaupt ist es die Mimik des Künstlers, die wir sehen und die mittels eines Algorithmus die starren Züge belebt. Doch diese Animation wird uns vielleicht ähnlich ominös vorkommen wie den Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts die Geisterscheinungen. Und auch in weiteren Arbeiten, die in Stuttgart zu sehen sind, äußert sich Mayers Interesse an einem Nachleben, sei es in der rekonstruierten Stimme eines mumifizierten Mannes, der vor 2000 Jahren starb und der Kryonik, mit der manche hoffen, aus dem ewigen Schlaf aufzuwachen.

Allein während der Laufzeit der Ausstellung ist die Diskussion über künstliche Intelligenz lebhafter geworden. Was Programme wie Chat GPT für unsere Gesellschaft bedeuten werden, ist noch nicht abzusehen und erst kürzlich wurde ein offener Brief initiiert, der für ein Unterbrechen der Forschung plädiert; zu den Erstunterzeichnern gehörten Yoshua Bengio, Elon Musk sowie Steve Wozniak. KI jedenfalls wird verändern, wie sich unsere Gemeinschaft zusammensetzt – wie auch der Titel der Stuttgarter Ausstellung nahelegt. Zu den Exponaten gehören Louisa Clements (*1987) sprechendes und interagierendes Double, zu der sich Ausstellungsbesucher neigen, um Kontakt zu ihm aufzunehmen. Sowie Heather Dewey-Hagborgs multiple Porträts „Probably Chelsea“ von 2017. Dewey-Hagborg (*1982) hatte während Whistleblower Chelsea Manning inhaftiert war anhand von Speichelproben eine Reihe von dreidimensionalen Porträts geschaffen. Die Masken, die mithilfe der DNA-Phänotypisierung entstanden sind, weisen ein breites Spektrum auf, was Hautfarbe und Gender angeht und spielen so auch auf Mannings Geschlechtsumwandlung an.

Hito Steyerl (*1966) lullt die Betrachter ihrer Doppelinstallation „SocialSim“ von 2020 mit eingängigen Beats ein. Wer auf den transparenten Sitzbällen Platz nimmt, kommt nicht umhin mitzuwippen, zumal die Computerspielästhetik nicht minder einnehmend ist. Die tanzenden Polizisten und hochaufgerüsteten Männer der Installation haben einen roten Schleier um sich oder lösen sich gleich ganz in flirrende Ströme auf. Doch die Daten, die sie derart zappeln lassen, sind verdorben. Steyerls Arbeit „Dance Mania“ hatte sich bereits aus Daten der Corona-Epidemie gespeist, in Stuttgart sind es Erhebungen über Polizeigewalt in Deutschland und Frankreich. Eine Leiste etwa dokumentiert am unteren Bildrand die Zahlen tödlicher Bedrohungen durch deutsche Polizisten. Steyerl hat, um die Videos zu generieren, mit Simulationen für soziales Handeln oder Naturkatastrophen gearbeitet. Von derartiger Suggestionskraft sind nicht alle der acht Positionen der Ausstellung, doch sie sind eine Reflektion dessen, was sich zu verselbständigen droht und geben einen Einblick in eine mögliche Zukunft.