Gina Folly: Autofokus. Studien über das Gebrauchtwerden und das In-Gebrauch-sein

Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Porträt
3. Mai 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Gina Folly: Autofokus.

Kunstmuseum Basel / Gegenwart, St. Alban-Rheinweg 60, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
6. Mai bis 1. Oktober 2023.

www.kunstmuseumbasel.ch

www.ginafolly.ch

Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Gina Folly, aus der Serie: Quasitutto, 2023, Courtesy the artist
Gina Folly, Foto: Reto Schmid

Zu Beginn der Corona-Pandemie hing an der Fassade des Kunsthaus Baselland ein wandfüllendes Banner mit der Fotografie eines Bücherregals. Dicht an dicht drängten sich darauf die Buchrücken, locker sortiert nach eigenwilligen Kategorien wie „Fashion, Sex & Death“, „Science“ und „Sports, Gardens and Conspicious Consumptions“, die auf vergilbten Zetteln an den Regalböden klebten. Die in Basel und Paris lebende Künstlerin und ausgebildete Fotografin Gina Folly (*1983) hatte dieses Arrangement in der Wohnung eines Freundes entdeckt, bei dem sie 2018 während einer dreimonatigen Residency am Swiss Institute New York wohnte. Im Interview mit Kunsthaus-Direktorin Ines Goldbach sagte sie: „Das Bild ist für mich eine Art Platzhalter für Freundschaft, Liebe, Vergangenheit, Zukunft und Imagination, vielleicht in einem Wort zusammengefasst: für das Leben“. Tatsächlich wirkten die Bücher, lebensgroß und unaufgeregt wie freundliche Passanten, als wollten sie mit den Menschen auf der Straße in Dialog treten.

Gina Folly interessiert sich seit Langem für die unterschiedlichen sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Aspekte von Alltag und für ihre Auswirkungen auf unser Handeln. Ihr Blick ist dabei oft ebenso analytisch wie empathisch. Viele ihrer Arbeiten zeichnet im ersten Moment eine ungewöhnliche Zugewandtheit aus, die allerdings selten ungebrochen bleibt. An der Regionale 2013 etwa, noch während ihres Masterstudiums an der ZHdK, spielte sie einer Zimmerpflanze zur Wachstumsstimulierung Musik eines befreundeten Komponisten vor. Das liebevoll arrangierte Wellnessprogramm für die Pflanze ließ sich zugleich als ironische Kritik an einem seltsam entfremdeten Verhältnis zwischen Mensch und Natur verstehen. Davon handelten auch Werkserien wie „Magic Boxes“, ausgehend von Zoo-Objekten wie einem komplizierten Futterkasten, mit dem Affen beim Erfingern von Apfelstückchen durch winzige Öffnungen angeblich wie in der freien Natur ihr Gehirn trainieren können sollen. 2016, in der Soloschau „Domestic Problems“ im Londoner Offspace Almanac, präsentierte Folly dann eine Reihe von Matratzenobjekten, bedruckt mit digital bearbeiteten Fotografien von extrem verlängerten Händen. Flankiert von einzelnen Augen, die aus Monitoren den Raum beobachteten, kreiste das Setting um die Ambivalenz von Intimität und Geborgenheit, ein Thema, dem sich 2017 auch die in Umzugskartons gezeigte Handyvideo-Serie „Basic Needs“ widmete.

Folly nutzt das Smartphone zur Dokumentation ihres Alltags. Bilder aus ihrem Archiv würden ihr oft als Ausgangspunkt für ihre skulpturalen oder installativen Arbeiten dienen, sagte sie zur Präsentation ihres Banners am Kunsthaus Baselland. In der kommenden Soloschau, die ihr das Kunstmuseum Basel anlässlich der Verleihung des Manor Kunstpreis Basel 2023 ausrichtet, werden nun erstmals seit Längerem wieder ihre fotografischen Arbeiten im Zentrum stehen. Für die Werkserie zum Thema „Gebrauchtwerden / In Gebrauch sein“, die hier zu sehen sein wird, arbeitete sie mit dem Thalwiler Seniorenverein „Quasitutto“ zusammen. Seine Mitglieder sind überall dort zu Stelle, wo sie helfen können – beim Einkaufen, Kochen, Gärtnern, Reparieren. Folly hat sie dabei mit der Kamera begleitet. Ihre Serie zeichnet das einfühlsame Porträt einer Gruppe, die weiß, dass die Sorge für andere immer auch die Sorge für sich bedeutet.