Dampfer, Deiche, Dramen. Druckgrafik aus der Sammlung und zeitgenössische Positionen.

Are Andreassen, Gadus morhua, 2018, Courtesy the artist, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
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21. April 2023
Text: Julia Lucas

Dampfer, Deiche, Dramen.
Druckgrafik aus der Sammlung und zeitgenössische Positionen.

Museum Kunst der Westküste, Hauptstr. 1, Alkersum.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 18. Juni 2023.

www.mkdw.de

Marie-Louise Exner, Engen, 2010, Courtesy the artist
Max Kahlke, Sturm, o.J., Foto: Lukas Spoerl
Henrieke Strecker, o.T., 2020, Courtesy the artist, © Henrieke Strecker

[— artline Nord] An den Umstand, dass Drucken und Kunst einmal in enger Verbindung gestanden haben, daran erinnert das heute noch weithin bekannten Synonym für „Drucken“ als „Schwarze Kunst“. Mit der „Schwarzen Kunst“ ist hierbei jedoch nicht Magie oder Zauberei moderner Technologien gemeint, sondern die schwarze Druckfarbe, die zur Einfärbung von Druckformen verwendet wurde, um das Bild meist einfarbig auf Papier zu vervielfältigen. Seit der frühen Neuzeit und der Erfindung des Buchdrucks galt die Technik des Drucks – hier noch des Buchdrucks – als ein kulturelles Emanzipationsvehikel. Die Reproduktion von Geschriebenen und auch grafisch Gesetztem war nicht länger an akademisch vorgebildete Schriftkundige, meistens Geistliche, gebunden, sondern konnte zunehmend, wenn auch noch in technischen Kinderschuhen steckend, maschinell umgesetzt werden. Der erschwinglicheren Verbreitung der per Druck erzeugten Bild- oder Schriftmedien war damit der Weg geebnet: Text- als auch Kunstgenuss in den heimischen vier Wänden leistete sich nun nicht mehr nur Adel und Klerus. Auch das sich allmählich formierende Bürgertum erfreute sich zunehmend an Büchern und Kunstwerken.

Knapp 500 Jahre später, also ab 1890, entdeckten die Künstler der klassischen Moderne, darunter Max Liebermann, Emil Nolde und auch ein Edvard Munch, dass die Verdichtung der Auflage durch die Verwendung der Druckgrafik eine wichtige finanzielle Rolle bei der Erschließung neuer Käuferkreise spielen konnte. Doch nicht nur dieser Umstand interessierte die Künstler. In der Blütezeit der Druckgrafik zwischen 1890 und 1930 bot sie ihnen eine kaum begrenzte künstlerische Spielwiese des individuellen künstlerischen Schaffens. Hier konnten sie – abseits ihres malerischen Interesses – mit Motiven, Perspektiven und Strukturen experimentieren und diese künstlerischen Erprobungen in verschiedenen Auflagenstärken auch gezielt vermarkten. Sujet dieser Experimente waren, wie auch in der Malerei zwischen Impressionismus und Expressionismus, Flora und Fauna. Die Natur als Ort des eleganten Verweilens, aber auch als Paradies und sogar Utopie lag im künstlerischen Fokus und immer mittendrin: der Mensch.

In der druckgrafischen Sammlung des Museums Kunst der Westküste (MKdW) sind es vor allem die Küste und das Meer, die sich als Motive durch die Werke ziehen. Im Sinne des ausgehenden Impressionismus ging es den Künstlern in dieser Zwischenzeit nicht mehr ausschließlich darum, die Atmosphäre und Wahrnehmung flirrender Sommertage am Strand oder das aufgepeitschte Meer nach einem Herbststurm darzustellen, sondern das gewählte Motiv als Folie des eigenen künstlerischen Ausdruckes und persönlichen Erlebens zu nutzen.

Erstmals präsentiert das MKdW im nordfriesischen Alkersum in seiner Sonderschau „Dampfer, Deiche, Dramen“ Druckgrafiken aus der Sammlung und zeitgenössische Positionen. Neben Größen der Moderne wie Munch, Liebermann und Nolde sind aber auch Neuentdeckungen wie Maximilian Luce, der sich zusammen mit Lucien Pissaro, einem Sohn Camille Pissaros, mit George Seurats Farbtheorien auseinandersetzte, und dem eher selten gezeigten Otto Mueller – ge­lernter Lithograf und Brücke-Mitglied – unter dem narrativen-verheißungsvollen Ausstellungstitel zusammengefasst. Insgesamt 11 Künstler:innen wer­den in der Werkschau präsentiert. Darunter finden sich mit Marie-Louise Exner (Dänemark), Are Andreassen (Norwegen) und Henrike Strecker (Deutschland) drei Zeitgenossen, die mit ihren Arbeiten Bezug zum Ausstellungsthema nehmen. Als Highlight ist der Zyklus „Alpha und Omega“ von Edvard Munch hervorzuheben, der beinah vollständig zur Sammlung des Hauses zählt. Elf Blätter der insgesamt 18 Motive umfassenden grafischen Biografie einer dramatischen Liebe können gezeigt werden. Neben der Serie zur Theodor Storms urfriesischer Novelle „Der Schimmelreiter“ aus dem Werk des Flensburger Grafikers Alexander Eckener beweist Druckgrafik hier gekonnt, welch erzählerische Qualität sie haben kann, und damit einem Gemälde in Ausdruck und Qualität in nichts nachsteht.