Philippe Parreno: Marilyn. Räume der Erinnerung

Philippe Parreno, Marilyn, 2012, Filmstills, Courtesy the artist und Sammlung Fondation Louis Vuitton, © Philippe Parreno
Review > München > Espace Louis Vuitton
6. April 2023
Text: Bettina Krogemann

Philippe Parreno, Marilyn.
Espace Louis Vuitton München, Maximilianstr. 2a, München.
Montag bis Freitag 12.00 bis 19.00 Uhr, Samstag 10.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 6. August 2023.

Philippe Parreno, Marilyn, 2012, Filmstills, Courtesy the artist und Sammlung Fondation Louis Vuitton, © Philippe Parreno
Philippe Parreno, The Writer, 2007, Filmstill, Courtesy the artist und Sammlung Fondation Louis Vuitton, © Philippe Parreno

Das Materialreservoire für die Welten von Philippe Parreno (*1964) liegt in Beobachtungen, Fundstücken und Recherchen, sprachlichen Finessen, Umdenken von tradierten Wahrnehmungsmustern und Perspektiven, seltenen mechanischen Apparaturen und Erinnerungen. Ein Beispiel: Zur Erinnerung an seine Anfänge als Künstler in den 1990er-Jahren und seine frühe Zusammenarbeit mit der Berliner Galeristin Esther Schipper schuf er die unbetitelte Installation aus zehn überdimensional großen Paraffinkerzen in Blautönen, deren Dochte zum zwanzigjährigen Kooperationsjubiläum zwischen Künstler und Galeristin im Jahr 2010 bereits angezündet wurden. Wenn Kerzen eigentlich einen ephemeren Charakter haben, so stehen diese hier für Beständigkeit und sind damit ihrer üblichen Bedeutung enthoben. Sie sind als Kunstwerke für die Ewigkeit präpariert.

Im Zentrum der Münchner Ausstellung befindet sich jedoch die titelgebende Arbeit „Marilyn“ von 2012, ein 23minütiger Farbfilm. Die Monroe hat bis zum heutigen Tag viele Künstler zu Werken inspiriert, jedoch gibt es keines, in der die Ikone so unsichtbar blieb, denn die moderne Kunstgeschichte verweist immer bildhaft auf sie, man denke an Andy Warhol oder Zou Cao. Ihre Kunstwerke geben den Blick von außen auf Marilyn wieder. Bei Parreno ist alles umgekehrt. Wer meint, die Ikone aus den 1950er-Jahren zu Gesicht zu bekommen, irrt. Der Betrachter schaut dieses Mal durch die Augen der Monroe in eine im Mid Century-Style eingerichtete Suite im New Yorker Hotel Waldorf Astoria. Ihren Blick simuliert eine Kamera. Er führt durch den Raum und die Fenster als Membran nach außen in einen regnerischen trüben Tag in Manhattan auf die umliegenden Skyscraper. In Parrenos „Marilyn“ folgen wir ihrer Raumwahrnehmung und ihren Gedanken, die sie von Klaviermusik begleitet spricht oder mit einem kratzenden Federfüllhalter auf das edle Hotelbriefpapier niederschreibt. Regentropfen an den Fensterscheiben begleiten den Sprachrhythmus, bis dieser ein paar Mal durch überlautes Telefonläuten jäh durchbrochen wird. Das Fortschreiten des Films wird durch die Sprache und das Schreiben bestimmt – beides nimmt stetig an Tempo zu. Die fragile, helle, weltberühmte Stimme und die Handschrift formieren zusammen mit der Kameraperspektive den Star.

Doch all das, was wir hier erleben, war nie Wirklichkeit. Die Präsenz der Marilyn wird durch drei Algorithmen nachgebildet: Die Kameras sind ihre Augen, ein Computer rekonstruiert auf KI basierend die Lautstärke, das immer intensiver werdende Tempo und die Sprechmelodie ihrer Stimme, die die Texte wiedergibt, die sie nie gesprochen hat. Ein Roboter reproduziert ihre Handschrift basierend auf Daten, die Versatzstücke ihrer wirklichen Handschrift hergeben. Der Geist Monroes, dem wir als Betrachter folgen, wird durch Maschinen und digitale Programme reinkarniert – fein gesteuerte Automaten haben hier die Existenz der Monroe übernommen. Die letzten Perspektiven des Films geben die Auflösung. Wir schauen doch nicht in die Monroe-Suite im Waldorf Astoria, sondern in eine detailgetreue Rekonstruktion des Raumes als Setting in einem hochtechnisierten Studio. Alles ist inszeniert, kein Detail wurde vergessen, um dem Raum eine authentische Aura zu geben.

Eine weitere Arbeit in der Ausstellung hat einen ähnlichen Ansatz und basiert auf einer zum Leben erweckten Maschine in menschlich-puppenhaften Formen. Das ist eine im Jahr 1770 aus über 6.000 Einzelteilen vom schweizerischen Uhrmacher Pierre Jaquet-Droz konstruierte Maschine. Sie kann durch ein Programmiersystem Sätze oder Texte von bis zu 40 Zeichen mit einer Feder schreiben und die Aktion mit großen, beweglichen Kulleraugen verfolgen. Mit ihr als Motiv realisierte Parreno 2007 das vierminütige Video „The Writer“. Was der von Parreno programmierte Schreiber auf dem Papier notiert?“. Das: „What do you believe, your eyes or my words?“.