Augustin Rebetez: Vitamin. Das kreative Potenzial der Überforderung

Augustin Rebetez
Augustin Rebetez, Untitled, aus Very Charming Animals: CATS, 2023, © Augustin Rebetez
Review > Aarau > Aargauer Kunsthaus
4. April 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Augustin Rebetez: Vitamin.

Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 29. Mai 2023.

www.aargauerkunsthaus.ch

Augustin Rebetez
Augustin Rebetez, The Black Church, 2023, in Kooperation mit Leo Regazzoni, Ausstellungsansicht „Vitamin“ im Aargauer Kunsthaus, Foto: ullmann.photography, © Augustin Rebetez

Seit seiner Kindheit lebt Augustin Rebetez in Mervelier, einem idyllischen 500 Seelen-Dorf im Schweizer Jura. Im Haus seiner Familie hat er sein Atelier eingerichtet. Hier entstanden die meisten der Arbeiten für seine aktuelle Soloschau im Aargauer Kunsthaus. Es ist die bislang größte Ausstellung des 36-Jährigen, der zunächst Fotografie studierte und Filmemacher werden wollte, bevor dann  immer mehr Dinge dazukamen, die ihn interessierten, Installationen, Szenografie, Malerei, Plakat, Musik, so dass heute eigentlich nur noch der Begriff Gesamtkunstwerk passt, um zu beschreiben, was er tut. Und vielleicht auch: Magie.

Es ist ein ganzes Universum aus bizarren Figuren, das Rebetez geschaffen hat, bevölkert von Vögeln und Schlangen, Katzen und Echsen und von fantastischen Mischwesen, die der Künstler auf schwarze Silhouetten reduziert und an den Wänden im Kunstraum gerne wie böse Schatten aus Alpträumen arrangiert, die nach dem Aufwachen den Tag verdunkeln. Bei Rebetez haben sie allerdings jeden Schrecken verloren und reihen sich ein in das wilde Defilee der Bilder, Dinge und Zeichen, als die sich seine Ausstellungen entpuppen, aufgeboten, um dem Ernst im Museum konsequent den Boden zu entziehen. Vorbildlich zu erleben ist das derzeit in Aarau, wo vor ein paar Wochen ein LKW aus Mervelier vor der Tür stand, dessen Fracht die Räume nun bis zum Bersten füllt. „Vitamin“ heißt Rebetez’ Soloschau und die erste Infusion wartet bereits im Entrée. Von der Wand bellt die Besucher in hektisch flackernden Farblettern ein wütendes Poem über Aufruhr und Überforderung an: „Geopolitics is too complicated! Too much factors! Too many experts! … We need to give our energies to revolutions!“. Der Lärm der im Chor gerufenen Slogans, die irgendwann zur Hymne auf die Liebe und die Gemeinschaft mutieren, mischt sich mit dem Scheppern zahlloser Küchengeräte, welche im Nebenraum auf Buzzerdruck eine surreale, aus Teesieben, verbeulten Milchtöpfen und Altmetall zusammengebastelte Tierwelt in Bewegung setzen. Ein wenig erinnert das zunächst an die kinetischen Installationen Jean Tinguelys, doch Rebetez’ Humor speist sich eher aus Trash, Punk, Pop und den Sozialen Medien. Einen ganzen Raum hat er hier mit aberwitzigen Katzencollagen tapeziert und mit herrlich wüsten Bildbearbeitungen von Autokratenporträts. Da blickt einem dann Putin beleidigt aus tausend Augen entgegen, Erdogan sinniert mit stoischer Leguanmiene ins Leere und Lukaschenko grinst wie ein Kind unter UFO-großer Generalsmütze hervor.

Zwischen Wandteppichen, die Rebetez nach Vorlage kleiner Zeichungen von Sternenhimmeln und Lagerfeuern knüpfen ließ, lädt im zentralen Saal eine Kapelle im Look der Hochzeitskirche aus Quentin Tarrantinos „Kill Bill“ zur kurzen Andacht über die Migration der Formen ein. Sehen die Vögel und Aliens, die hier ins Holz gebrannt sind oder aus schummrigen Nischen ins Halbdunkel spähen, nicht aus wie Wiedergänger aus der antiken Bilderwelt der Maya oder aus den Höhlen von Lascaux? Die Andeutung solcher Zusammenhänge ist typisch für Rebetez, dessen Arbeiten das kreative Potenzial der Gemeinschaft von kunst- und pophistorischen Vorbildern, Freunden und Kollaborierenden feiern. Das gilt auch für die atemlose Videomontage „Liquid Panic“, für die er absurde Stunts, kleine Explosionen und sinnfreie Experimente rund ums Thema Flüssigkeit zu einer Hommage an die Sprengkunst Roman Signers und an Fischli/Weiss’ legendären Film „Der Lauf der Dinge“ zusammenschnitt. Zu sehen ist die Arbeit in Aarau in einem der beiden Kinos, die Rebetez aus schwarz lackierten Sperrholzplatten in den Ausstellungsraum gezimmert hat. Im anderen läuft das Stop-Motion-Video „Throw Your Shadows“, ein düster-komischer Horror-Trip in die Abgründe der menschlichen Existenz zwischen Fremdbestimmung und Selbstverlust. Es gehe ihm darum, den Menschen mit seiner Kunst Energie zu geben, sagt Augustin Rebetez im Videoblog des Museums. Wie gut ihm das mit „Vitamin“ gelingt, wird beim Verlassen des Kunsthauses klar. Nach dieser Schau wieder ins Tageslicht zu treten, fühlt sich auf spektakuläre Weise aufregend, neu und unwirklich an.