Ralph Gibson: Secret of Light. Abstraktion der Nähe

Ralph Gibson, Untitled, 1974, aus der Serie „Days at Sea“, © Ralph Gibson
Review > Hamburg > Deichtorhallen
7. April 2023
Text: Belinda Grace Gardner

Ralph Gibson: Secret of Light.

Deichtorhallen – Halle für aktuelle Kunst,
Deichtorstr. 1-2, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, jeder 1. Donnerstag 11.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 20. August 2023.

www.deichtorhallen.de

[— artline Nord] Aus samtigen Schatten rücken Details ins Licht: Kinn, Hals und Lippen einer Frau, Hände, der Ausschnitt eines Rückens, Gesichter im Profil, Wimpern, die ein Auge rahmen. Ralph Gibsons Ansichten sind zugleich zutiefst intim und äußerst abstrakt. Es sind Bilder von Linien, Kurven, Rundungen und scharfen Kanten ebenso wie von Personen, die in der fragmentarischen Nahsicht nicht mehr als Individuen erkennbar sind, aber dennoch, bei aller Zartheit, eine starke körperliche Intensität vermitteln. In der Halle für aktuelle Kunst der Hamburger Deichtorhallen ist ab April eine große Werkübersicht des international renommierten, in Museen weltweit vertretenen US-amerikanischen Fotografen von den 1960er-Jahren bis heute zu sehen. Zusammengestellt wurde sie von Sabine Schnakenberg, Sammlungskuratorin des Hauses der Photographie in den Deichtorhallen Hamburg, in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler.

Geboren 1939 in Los Angeles und heute in New York lebend, entwickelte Gibson eine einzigartige Bildsprache, die von grobkörnigen, traumartig-surrealen Schwarz-Weiß-Aufnahmen über formale Studien und geometrische Figurationen bis hin zu Experimenten mit Solarisation und anderen Methoden zur Erzielung starker Kontraste reicht. Intensive Portraits finden sich in seinen fotografischen Serien ebenso wie ungewöhnliche Landschaftsperspektiven.

Die Hamburger Ausstellung umfasst rund 300 analog und digital entstandene Arbeiten in Schwarz-Weiß und in Farbe aus Gibsons Privatbesitz sowie aus den Beständen des Hamburger Fotografen und Sammlers F. C. Gundlach, die als Dauerleih­gabe im Haus der Photographie bewahrt werden. Erste Stationen seiner Ausbildung zum Fotografen absolvierte Gibson bei der US Navy und am San Francisco Art Institute, gefolgt von Assistenzen bei Dorothea Lange und Robert Frank, bevor er sich selbstständig machte. Die Leica wurde zu seinem bevorzugten Instrument für die Erkundung von Welt und Wirklichkeit auf die ihm ganz eigene Weise. Schon früh löste er sich von der Verwendung der Fotografie zur dokumentarischen Aufzeichnung von Realität zugunsten eines künstlerischen Umgangs mit dem Medium. Seine Bilder sind Ergebnis eines magisch-verwandelnden Blicks auf die Dinge, der zu seinem Markenzeichen geworden ist. Wie der Titel der Schau in der Halle für aktuelle Kunst andeutet, geht es darin um das Geheimnis des Lichts, dem Gibson in seinen Arbeiten auf der Spur ist. Seine oft von Hell-Dunkel-Gegensätzen bestimmten Bilder geben diesem Geheimnis facettenreich Gestalt.