Morgaine Schäfer: Through the Looking Glass. / Inside. Eigene Welt im Bild im Bild

Morgaine Schäfer, magnify BWS 1193 (Woman eating Ice Cream), 2020 © Morgaine Schäfer und VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Review > Braunschweig > Museum für Photographie
1. April 2023
Text: Bettina Maria Brosowsky

Morgaine Schäfer: Through the Looking Glass

Museum für Photographie Braunschweig,
Helmstedter Straße 1, Braunschweig.
Dienstag bis Freitag 13.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 9. April 2023.
www.photomuseum.de

Morgaine Schäfer: Inside

Kunstverein Wolfsburg,
Schloss Wolfsburg, Schlossstr. 8, Wolfsburg.
Mittwoch bis Freitag 13.00 bis 17.00 Uhr, Samstag 13.00 bis 18.00 Uhr, Sontag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2023.
www.kunstverein-wolfsburg.de

Morgaine Schäfer, magnify BWS 1049 (Woman walking while thinking), 2020 © Morgaine Schäfer und VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Morgaine Schäfer, Poznan (floor), 2022 © Morgaine Schäfer, VG Bild-Kunst 2023

[— artline Nord] Einen Hauch von Sophie Calle wittert Barbara Hofmann-Johnson, die Leiterin des Museums für Photographie in Braunschweig, im Werk der Konzept­künstlerin Morgaine Schäfer, dem ihr Haus gemeinsam mit dem Kunstverein Wolfsburg eine Doppel- ausstellung widmet. Denn ähnlich der umstrittenen Französin arbeitet auch Schäfer mit sehr persönlichen Dokumenten, Geschichten und Bildarchiven, die sie in neue Kontexte einbaut. Während Calle aber, durchaus übergriffig, gerne fremden Menschen nachspürt, bleibt Schäfer im Rahmen ihrer Familie. Denn der Bildfundus, den sie immer wieder neu in­szeniert, ist ein Diakonvolut aus den 1970er- und 80er-Jahren von ihrem Vater. Er – Westdeutscher – nahm darin häufig Schäfers Mutter in den Blick – sie kommt aus Polen – sowie die große polnische Familie während Besuchen.

Morgaine Schäfer, 1989 in Wolfsburg geboren, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, wurde 2017 Meisterschülerin bei Christopher Williams, der mit Bildzitaten aus der Werbe- und Industriefotografie arbeitet. In ihrer Abschlussarbeit setzte Schäfer ihre Familiendias konsequent in Szene. Sie hielt einzelne gerahmte Exemplare mit dem Abbild ihrer Mutter in der Hand, bildete so, in klassischen Posen, das Sujet großformatiger Selbstporträts, oder besser: Doppelporträts der Kategorie „Bild im Bild“. Mit einer hochauflösenden professionellen Digitalkamera angefertigt, entstanden perfekte, übernatürlich durchgezeichnete Aufnahmen. Eine textile Umgebungsinstallation verankerte die Bildergebnisse zurück in einen familiären Verweis. Diese Arbeit „Westen – wschód“ ist in Braunschweig nun in Teilen nachempfunden, sie trug Schäfer noch 2017 ihre erste professionelle Auszeichnung ein, den Ehrenhof Preis des Düsseldorfer Kunstpalasts. Für neuere Werkserien hat Schäfer die eigene Hand als Träger der Bildinformation durch Aufnahmen mit dem Smartphone ersetzt, die räumlich realistische Präsentation durch eine flächige, betont geheimnisvolle abgelöst. Sie konzentriert sich dabei auf Sequenzen oder vergrößerte Bildausschnitte, die sie am Leuchttisch aus den Dias generiert und anschließend mit Abzügen übereinanderlegt und wiederum abfotografiert. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Abweichungen: Motive, die sehr ähnlich aber eben nicht identisch sind, Personen in Bewegung, die ein kleines Stück weitergegangen sind, farbige Extrakte, die sich nicht unmittelbar zuordnen lassen. Diese mysteriösen Bilder erklären dann auch den von Lewis Carroll entlehnten Ausstellungstitel: Hinter dem Spiegel, der Fotografie, eröffnet sich eine ganz eigene Welt. Und in die kann man auch in Wolfsburg eintauchen, hier zeigt Schäfer Impressionen aus dem Haus ihrer Großmutter. Sie verstarb vor Längerem, aber alles blieb noch eine ganze Weile eingerichtet: eine konservierte Zeit, mit großformatigen Abzügen aus dem Archiv zum zweiten Leben erweckt.