Drawing Rooms – Marcel van Eeden und Karl Hubbuch: Storyboard einer Geschichte der Gewalt

Marcel van Eeden
Marcel van Eeden, The Radio Station, 2018, © Marcel van Eeden, Courtesy Sprüth Magers, Ausstellungsansicht Städtische Galerie Karlsruhe 2022, Foto: ARTIS Uli Deck
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20. März 2023
Text: Dietrich Roeschmann

Drawing Rooms: Marcel van Eeden / Karl Hubbuch
Städtische Galerie Karlsruhe, Lorenzstr. 27, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 16. April 2023.
www.staedtische-galerie.de

Es ist angerichtet: Ein roter Hummer, der über einem Berg von Eiersalat thront, leuchtet um die Wette mit den Paprikastreifen auf den kalten Platten im Bild nebenan. Willkommen in der Welt der Gastlichkeit und der Serviervorschläge aus Kochbüchern der frühen Sechziger. Die beiden kulinarischen Pastellzeichnungen in Großformat gehören zu den jüngeren Arbeiten von Marcel van Eeden, dem die Städtische Galerie Karlsruhe derzeit eine bemerkenswerte Ausstellung widmet. Zu sehen sind Zeichnungen und Serien aus den vergangenen zehn Jahren im Dialog mit grafischen Arbeiten von Karl Hubbuch (1891-1979), Vertreter der Neuen Sachlichkeit und langjähriger Professor an der Karlsruher Kunstakademie, deren Rektor van Eeden seit 2021 ist.

Seit Beginn seiner Karriere zeichnet der niederländische Künstler Motive ausschließlich aus der Zeit vor seiner Geburt im Jahr 1965. Als Vorlagen dienen ihm meist schwarzweiße Abbildungen aus alten Büchern und Zeitschriften, Postkarten und Pläne, Grundrisse, Stoffmuster oder Filmstills, die er dann zu ausufernden Bildsequenzen sortiert, in denen er selbst permanent anwesend ist als zeichnender Chronist einer tendenziell unendlichen Vergangenheit und zugleich abwesend als Nachgeborener. Er selbst beschrieb seine Arbeit einmal als „Enzyklopädie meines Todes“. Doch auch wenn seine Serien auf den ersten Blick wie konsis­tente Erzählungen wirken, folgen sie tatsächlich keiner linearen Logik, sondern werden vor allem durch formale Entscheidungen zusammengehalten wie die sprechblasenartige Gestaltung der Textfelder oder die Rahmung und Hängung, durch die jede einzelne Zeichnung als Panel einer fortlaufenden Graphic Novel erscheint. Die Fokussierung auf die Motivästhetik längst vergangener Jahrzehnte erzeugt einen starken Sog ins Nostalgische, den van Eeden aber durch die präzise, geradezu nüchterne Erkundung des ganzen Dramas und der Suggestivkraft dieser melancholischen Bildsprache der Nachkriegszeit immer wieder konsequent ausbremst. Es ist fast so, als gewährte er in Serien wie „The Radio Station“, „The Hotel“ oder „The Restaurant“ Einblick in das nur noch in Fragmenten erhaltene Storyboard einer teils verdrängten, teils verschütteten Geschichte der Gewalt. Auch die Texte hängen hier lediglich noch in Fetzen im Bildraum, verschweigen mehr als sie erzählen, kommen aber gerade dadurch dem Ringen um Erinnerung und Sprache sehr nahe, das den Diskurs um das kollektive Gedächtnis bis Mitte der 2000er Jahre prägte, als van Eeden – unter anderem an der Berlin Biennale 2006 – seinen internationalen Durchbruch feierte. Interessanterweise sind es in Karlsruhe nicht zuletzt die Zeichnungen und Grafiken Karl Hubbuchs, die diese dokumentarische Qualität in van Eedens Werk überhaupt erst sichtbar machen.