Herlinde Koelbl, Metamorphosen.
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst, Beim Glaspalast 1, Augsburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 23. April 2023.
www.kunstsammlungen-museen-augsburg.de
Im Steidl Verlag ist ein Katalog erschienen, 128 S., Göttingen 2022, 45 Euro, ca. 69.90 Franken.
Das 17. Jahrhundert sah in Europa, insbesondere in den Niederlanden, das Aufblühen einer neuen Gattung, der so genannten Vanitas-Stillleben, worin die Vergänglichkeit des Lebens, die Nichtigkeit der irdischen Vergnügungen und das sinnlose Streben nach Macht und Ruhm betont wurden. Und wenn auch dieses mit Symbolen aufgeladene Inszenieren der Vergänglichkeit des irdischen Lebens (neben dem obligaten Totenschädel) gerne üppige Früchte und Pflanzenarrangements vorführt, so ging es doch um nicht weniger als die Unvermeidlichkeit des Todes und das Vergehen der Zeit. Womit wir bei einem zentralen roten Faden im Werk der nunmehr 83jährigen Fotografin Herlinde Koelbl wären, die sich schon in ihren berühmten Portraitreihen ausführlich mit dem Vergehen der Zeit befasste. Man denke nur an die „Spuren der Macht“-Portraits, worin sie etwa die ehemaligen Bundeskanzler Schröder und Merkel von jungen Jahren bis ins reife Alter begleitete.
Nun geht es erstmals nicht um den Menschen, sondern um Natur: „Metamorphosen“ heißt die Ausstellung im Augsburger H2-Zentrum für Gegenwartskunst. Koelbl hat hier ihre eigene Form des „Vanitas“-Motivs erschaffen und erstaunt den Betrachter in ihrem über sieben Jahre entstandenen Werkzyklus mit poetischen Betrachtungen zum Verwelken, Verblühen, Verblassen und Verschwinden von Pflanzen. Dass dieser Moment des unausweichlichen Vergehens weniger ein Abgesang auf die Schönheit ist, sondern vielmehr ein Fest für die Augen, versteht sich bei dieser Künstlerin fast von selbst. Gewiss kann auch jeder ambitionierte Laie gute Aufnahmen von welken Blütenblättern oder Blumensträußen machen; Koelbl aber liefert keine zufälligen Schnappschüsse, sondern Aufnahmen, die durch so intensives Betrachten entstanden sind, dass sie oftmals schon die detailversessene Genauigkeit einer Inszenierung zu besitzen scheinen. Zeigt sie etwa Nahaufnahmen von Blättern, so scheint es, als blicke man auf eine abstrakte Malerei. Überhaupt erinnert das Gros der Arbeiten oftmals an Malerei oder auch komplexe farbige Grafiken. Die Farbverläufe welkender Blätter sind durch präzisen Blick und hohe Fotografenkunst in maximaler Opulenz und Widersprüchlichkeit erfasst: Wie kann das Sterbende so schön sein?
Die Hängung, die den steten Wechsel der Formate betont, erlaubt dem Betrachter fortwährend neue Blickachsen; so stellen sich Zusammenhänge oder Beziehungen zwischen einzelnen Arbeiten her, die aber wohltuend unplakativ bleiben, ja, mitunter auch verwirren. Denn ab und an spielt Koelbls Blick dem Betrachter Streiche, wenn etwa herbstliche, bis aufs Gerüst abgenagte Blätterkonstruktionen sich in benachbarten Arbeiten mit neuem Wachstum, einer neuen Blüte kontrastiert sehen.
Dieser ewige Übergang der Natur vom Aufblühen zum Vergehen und erneuter Wiederkehr im nächsten Frühjahr verleiht den Werken gerade dort, wo man schon allzu viel Schönheit versammelt glaubt, eine angenehme Ambivalenz. Koelbl, die mit dieser neuen Werkreihe nicht etwa das Kapitel „Mensch“ abschließt, sondern eben um den Aspekt der Natur erweitert, wird an einer Position in der Ausstellung mehr als deutlich: Sie zeigt einen soeben geborenen Säugling, daneben eine Makroaufnahme menschlicher Haut. Es ist stark gefaltete Haut und man weiß nicht, ob es nun die runzlige Neugeborenenhaut ist, die sich erst glätten muss, oder die Haut eines alten Menschen.
Frei von solchen nietzscheanischen „Wiederkehr“-Gedanken transportieren Koelbls „Metamorphosen“ vor allem eines: Ein anhaltendes Staunen über die Formen- und Farbenvielfalt der Natur, und über den Charakter, den auch Pflanzen ausprägen. Ja, die Pflanzen auf Koelbls Fotografien zeigen Charakter, Persönlichkeit, manche behaupten sich gegen ihren Verfall, andere lassen sich gehen, manche scheinen im Verfall erst ihre verschwenderisch opulente, größte Pracht zu entdecken. So werden selbst bizarre Formen zu etwas Vertrautem, und je mehr Zeit man in den Rundgang durch die Schau investiert, umso intensiver wird dieser Eindruck.
Koelbl verlässt diese beinah zeitlosen Motive allerdings in einer Diaserie mit Grabstellen, die durch wenig Grün, dafür mit großer Tristesse auffallen. Hier ist dann nichts mehr vom historischen „Vanitas“-Bild zu spüren, dem immer auch das Versprechen auf Wiederkehr und Leben eingewoben war. Nun ist das Menschenleben auf eine förmlich leblose Ruhestätte auf Zeit verknappt, zwei Jahreszahlen klammern den menschlichen Kosmos erbarmungslos ein. Hier wird, wenn auch keine Portraits von Menschen zu sehen sind, ein Koelbl-Topos greifbar: Der Zeit entkommt niemand. Der Mensch lebt als Teil der Natur mit den sie bestimmenden Gewissheiten. Und dazu gehört nun einmal auch der Tod.