Grace Schwindt: Defiant Bodies. Zwischen Spannung und Verwandlung

Grace Schwindt
Grace Schwindt, Arched Figure, 2022,, Courtesy the artist & Zeno X Gallery, Antwerpen, Foto: Sebastian Stadler
Review > St. Gallen > Kunstmuseum St. Gallen
27. Dezember 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Grace Schwindt, Defiant Bodies.

Kunstmuseum St. Gallen, Museumstr. 32, St. Gallen.
Dienstag bis Freitag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 5. Februar 2023.

www.kunstmuseumsg.ch

Grace Schwindt
Grace Schwindt, Resting Point, 2022, Courtesy the artist & Zeno X Gallery, Antwerpen, Foto: Sebastian Stadler
Grace Schwindt
Grace Schwindt, Installationsansicht Kunstmuseum St. Gallen, Courtesy the artist & Zeno X Gallery, Antwerpen, Foto: Sebastian Stadler

Im Park des Kunstmuseum St. Gallen fallen die letzten Blätter von den Bäumen. Auf den Bänken sitzen ein paar Jugendliche in der Sonne, neben ihnen wirft eine „Arch Figure“ von Grace Schwindt (*1979) lange Schatten. Auf den Fußspitzen balancierend dehnt sie ihren Rumpf nach hinten und löst sich in der Rückbeuge in ein Tuch auf, das mit üppigem Faltenwurf auf den Rasen fällt. Es ist eine typische Figur der in London lebenden Bildhauerin, gefangen im Zustand zwischen Spannung und Verwandlung, Konzentration und Diffusion.

Das Kunstmuseum St. Gallen zeigt diese Außen­skulptur derzeit im Rahmen einer umfangreichen Soloschau zusammen mit Aquarellen und Installationen Schwindts aus jüngerer Zeit. In vielen ihrer meist kleinformatigen Plastiken mutieren Menschen zu Vögeln oder zu Pflanzen, manchmal auch zu Schwällen undefinierbarer Flüssigkeiten, die sich auf den Sockel ergießen. Oft suchen sie die Nähe zur Architektur, bilden immer wieder Torbögen, die sich in eine phantastische Welt öffnen. Die Wandlungsfähigkeit dieser Figuren erzählt von einer posthumanen ökologischen Vision – Mensch ist hier nur ein möglicher Aggregatzustand von Leben. So könnte man in Schwindts Skulpturen auch Metaphern für das sehen, was Donna Haraway „Symbionten“ nennt, Repräsentanten von Leben in Gestalt des „Mit-werdens“ aller Arten untereinander. In den Räumen des Kunstmuseums führen sie ihr ganz eigenes Leben, mal vereinzelt, mal in Gruppen. Da sind die Vogelartigen, die Tiermutanten, aber auch felsenähnlich vermauerte Materialpakete, die entfernt an ausweglose Angsträume Kafkas denken lassen – und immer wieder stilisierte weiße Köpfe, aus denen eine schimmernde Masse quillt, schwer zu sagen, ob es gute Ideen sind oder toxische Altlasten. Auch in Schwindts Aquarellzeichnungen ist dieses Empfindliche, Verletzliche ihrer Figuren aufgehoben, wird plas­tisch in der feinädrigen Oberfläche exotischer Blütenblätter, aus denen bei näherem Hinsehen auch schon mal Augenpaare schauen.

In St. Gallen ruhen einige ihrer Plastiken auf kleinen Sockeln, die meisten aber sind auf einem laufstegartigen Podest arrangiert als stille Teilnehmende mehrerer Performances, mit denen Schwindt  den Bogen zu ihren raumfüllenden Installationen „Resting Point“ und „Remembered Position“ schlägt. In beiden Settings kauert im Zentrum eines angedeuteten Boxrings eines dieser hybriden Wesen zwischen Vogel, Blume und Tänzer. Abwartend und in sich gekehrt und doch gespannt und in jedem Moment auf einen Hieb vorbereitet, erscheinen sie hier als Protagonis­ten einer Erzählung über den Boxkampf als herrschaftskritische Form der Selbstermächtigung. „Der Boxer“, sagt Schwindt, „schlägt den intimen Moment des Teilens körperlicher und seelischer Wunden als Möglichkeit vor, eine nicht unterdrückende soziale Beziehung zu schaffen“.