Protest! Gestalten. Von Otl Aicher bis heute: gutes Design ist nicht korrumpierbar

Protest gestalten
Guerilla Girls, Do Women have to be naked to get into the Met. Museum?, 1989, Flugblatt
Review > Ulm > Museum Ulm
28. Dezember 2022
Text: Florian L. Arnold

Protest! Gestalten. Von Otl Aicher bis heute.

Museum Ulm, Marktplatz 9, Ulm.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 16. April 2023.

www.museumulm.de

Protest gestalten
Jeremy Deller, The Battle of Orgreave, An injury to One is an injury to All, 2022, Videostill, Foto: Martin Jenkison, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Protest gestalten
Luba Lukava, Peace and Planet, 2015
Protest gestalten
Otl Aicher, Nein Volksversammlung, 1983, © Florian Aicher, HfG Archiv Ulm
Protest gestalten
Tine Melzer, Proteststein, 2018

Wenn die Bilder, Symbole, Slogans und Signale von Widerstandsbewegungen ins Museum wandern, hat sich der Grund des Widerstandes zumeist erledigt. Nicht so in der Ausstellung „Protest! gestalten“, die sich den 100. Geburtstag des ikonischen Kommunikationsdesigners Otl Aicher (1922-1991) zum Anlass nimmt, Widerstand und Protest der internationalen Gegenwartskultur vorzustellen. Aicher ist der Anlass, waren es doch seine Plakate, Motive und Wortbildmarken, die seit den 1950er Jahren immer wieder Protest und Gegenbewegungen ein Gesicht gaben. Als Jugendlicher entwickelte Aicher seine widerständige Haltung, ließ sich von den Nazis nicht vereinnahmen, unterhielt Kontakte zur Widerstandszelle „Weiße Rose“. Unrechtsregime und Opposition blieben Thema in seinem gestalterischen Werk, das für nachfolgende Gestalterinnen und Gestalter wichtige Impulse setzte. Seine Motive für den Protest gegen die Stationierung von Pershing-Raketen auf der Schwäbischen Alb oder für Ostermärsche sind bis heute zitierte, fulminant effektive Motive. Denn es galt stets: Die Information, der Grund für den Protest muss sofort erkennbar und verstanden sein.

Die Ausstellung im Museum Ulm verbleibt allerdings nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern räumt den Werken und Werkserien internationaler Künstler:innen und Grafiker:innen der Gegenwart Platz ein. Vieles, wenn nicht gar das Meiste ist hochaktuell. Die „Galerie der Straße“ zeigt, wie der öffentliche Raum zunächst als Präsentationsort erobert wurde, aber auch neue ästhetische Regeln aufstellte. Die Arbeiten des französischen Künstlerkollektivs GRAPUS belegen, wie Künstler:innen ihre Kreativität in den Dienst von Kampagnen stellen, wie Überzeugung und Kreativität einander bedingen. Die Forderungen damaliger Aktivisten sind weit davon entfernt, eingelöst zu werden.

Mit der scheinbaren Unveränderbarkeit mancher Protestanlässe arbeitet die in Amerika lebende Bulgarin Luba Lukova: Ganz ähnlich wie Aicher setzt die Künstlerin eine stark reduzierte, sofort erkennbare Gegenständlichkeit ein, die mit Elementen von Karikatur und klassischem Plakat arbeitet. Manches hat einen Retro-Touch, der an die Unmittelbarkeit früher „Simplicissimus“ oder auch „New Yorker“-Titel denken lässt: Bei allem verknappten Einsatz der Mittel ein Maximum an Aussage. Ganz ähnlich Noma Bar, ein israelischer Grafikdesigner und Illustrator, der Werbekampagnen für Google, Sony und Nike bebilderte; in der Ulmer Ausstellung zeigt er Motive mit hochaktuellem (Iran-)Bezug, etwa eine stilisierte Burka-Trägerin. Der Sehschlitz hat die Form eines mit Blut besudelten Messers.

Neben dem klassischen Plakat sind auch andere, experimentellere Formen der Protestgestaltung zu sehen. Mit Video- und Lichtinstallation etwa greift Jenny Holzer Themen der sexualisierten Gewalt auf. Parastou Forouhar adaptiert die Sprache von Hinweisschildern und macht daraus „Warnsignale“ gegen Missbrauch, Gewalt an Frauen und gegen Minderheiten. Die klassische Benetton-Werbung des Fotografen Oliviero Toscani macht auf die Wechselwirkungen von Protest, Kunst und Marketing aufmerksam. Das nimmt man als staunenswertes Detail aus mehreren Exponaten der Schau mit: Dass gestalteter Protest immer auch den Kern der Kommerzialisierung in sich trägt. War es früher der massenhaft auf T-Shirts geplättete Che Guevara, so sind es heute Symbole von #MeToo, Umwelt- und Menschenrechtsbewegungen, die zugleich notwendig sind und doch vereinzelt bereits zum schicken Mode-Accessoire verkommen. Dass Protestgestaltung unbequem sein muss, versteht man leicht. Dass sie dabei zwingend ästhetischen Regeln folgen muss, auch. Besucherinnen und Besucher wandern in dieser Rundschau des Protests allerdings dennoch mit einem etwas wehmütigen Blick herum. Wo, möchte man sich mitunter fragen, ist denn diese ganze gute Energie hingeraten, an welcher Stelle wurden die konstruktiven Signale von Widerstand, Aufklärung und Protest durch rechte und irrationale Kräften unterminiert? Aufschluss hierüber können die aktuellen Beiträge von Künstler:innen geben: eine gute Gestaltung ist unkorrumpierbar.