Dayanita Singh: Dancing with my camera: Tragbare Museen

Dayinta Singh
Dayanita Singh, Museum of Chance, 2013, © Dayanita Singh, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London
Review > München > Museum Villa Stuck
21. Dezember 2022
Text: Jürgen Moises

Dayanita Singh: Dancing With My Camera.

Museum Villa Stuck,
Prinzregentenstr. 60, München.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 19. März 2023.

www.villastuck.de

Dayinta Singh
Dayanita Singh, Corbu Pillar, 2021, © Dayanita Singh, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London
Dayinta Singh
Dayanita Singh, Suitcase Museum, 2015, © Dayanita Singh, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London

Fotografien gehören zu unserem Leben. Wir knipsen jeden Tag mit unseren Handys, tragen die entstandenen Bilder dann eng bei uns. Aber heißt das, dass diese wirklich auch eine Bedeutung für uns haben? Wie man Fotografien in den Alltag integriert, sie aus den Schubladen, von den Wänden der Museen oder unseres Zuhauses holt, damit sie ein lebendiger Bestandteil unseres Lebens werden: Mit dieser Frage hat sich auch Dayanita Singh (*1961) vielfach beschäftigt. Ihre Antworten darauf sind aber nicht digital, sondern analog. Und sie sind aus einer 40 Jahre währenden Beschäftigung mit dem Medium Fotografie heraus entstanden. Deren Früchte sind aktuell im Münchner Museum Villa Stuck zu sehen. Die vom Berliner Gropius Bau übernommene Schau ist die bisher umfassendste Retrospektive der indischen Fotokünstlerin, die in diesem Jahr mit dem bedeutenden Hasselblad Foundation Award ausgezeichnet wurde.

Das zentrale Werkzeug von Dayanita Singh ist tatsächlich eine analoge Hasselblad-Kamera, die sie beim Fotografieren vor dem Bauch trägt. Sie wird damit Teil ihres Bewegungsapparats und gerät mit dem Körper wortwörtlich ins „Tanzen“. Die meist schwarzweißen Bilder, die dabei entstehen, nennt die 61-Jährige ihr „Rohmaterial“. Sie macht daraus Panoramen, Leporellos, tragbare und wandelbare Museen, zu denen unter anderem auch Jacken, Tische, Koffer, Vitrinen und an Pfeiler oder Paravents erinnernde Konstruktionen gehören. Ihr bevorzugtes Material dafür ist Teakholz, die Koffer sind aus Leder, teilweise werden auch Tücher zum Präsentieren oder Verhüllen genutzt. Die Leporellos sind oft ausklappbare Bücher, erschienen in ihrem eigenen Verlag Spontaneous Books oder beim geistesverwandten Steidl-Verlag in Göttingen.

Dayanita Singhs Motive? Man könnte grob sagen: Das indische Leben, fern von üblichen Klischees. Es gibt viele Porträts, Spiegel intimer Begegnungen. Wobei die Dargestellten oft namenlos bleiben. Musik und Tanz nehmen einen wichtigen Raum ein. Architekturen, Räume, Archive hat die Künstlerin fotografiert. Hier sind es vor allem Licht und Schatten, die sie interessieren. Ihr erstes fotografisches Projekt? Sie begleitete den berühmten Tabla-Spieler Ustad Zakir Hussain auf Tourneen und machte ihr erstes Buch daraus. Den Prozess nannte sie „Book Building“. Neben Buchseiten sind Entwurfsskizzen zur Bild-, Text- und Seitenplanung zu sehen. Es geht Singh, die in Ahmenabad visuelle Kommunikation und in New York Dokumentarfotografie studierte, darum, Bezüge herzustellen. Zwischen den Motiven, Texten, Zeiten, zwischen Fotos und Betrachtern. Dafür hat sie ihre beweglichen „Museen“ geschaffen, von denen es in der Villa Stuck faszinierende Beispiele gibt. Nehmen wir „Sent A Letter“, entstanden 2008. Die Arbeit besteht aus einer von Hand gefertigten Stoffbox mit sieben Büchern im Leporelloformat. Auseinandergefaltet in sieben länglichen Vitrinen werden sie zu sieben Ausstellungen. Die Motive wie Menschen, Häuser, Innenräume fand sie auf Reisen in Städte wie Kalkutta oder Varanasi und sie hat sie zu visuellen Tagebüchern montiert. Ein Jahr zuvor entstand „Go Away Closer“. Hier hängen die Bilder noch gerahmt an der Wand, aber sie sind zum ersten Mal in ihrem Werk intuitiv und emotional geordnet. Die „Choreographie“ aus Außen- und Innenräumen wurde als „Roman in Bildern“ beschrieben. Und das zugehörige Bild eines auf einem Bett liegenden Mädchens gehört zu ihren bekanntesten Fotografien.

Ein mindestens genauso wichtiges „Modell“ war Mona Ahmed. Eine indische Trans-Frau und Seelenverwandte von Dayanita Singh, die man auf einem bewegten Standbild und zahlreichen Fotos sehen kann. Das „Museum of Tanpura“ (2021) zeigt Fotos von Musikern aus den Achtzigern und ist in Form von Pfeilern, Paravents und eines Leporellos in die historischen Wohnräume von Franz von Stuck integriert. Zum Wohnraum wird auch das „Museum of Shedding“ (2016), zu dem neben einer Stellwand mit Bildern ein Schreibtisch, Tisch, Stühle und sogar ein Bett gehören. Eine Konstruktion, die zusammenklappbar ist. Man kann darin leben, aber auch alles mitnehmen. Und Kunst und Leben sind darin eins.