Mit Haut und Haar: die neue Generation

Lotta Gadola, Traces, 2021, Ausstellungsansicht Forum Schlossplatz, Aarau, Foto: Peter Koehl
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20. Dezember 2022
Text: Annette Hoffmann

Mit Haut und Haar.
Forum Schlossplatz, Schlossplatz 4, Aarau.
Mittwoch, Freitag, Samstag 12.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 12.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 8. Januar 2023.
www.forumschlossplatz.ch

Bereits 1995 gab es eine Referenzausstellung im Aargauer Kunsthaus. „Karo-Dame“ beleuchtete damals die Bedeutung von Künstlerinnen für die konkret-konstruktivistische Kunst. Jetzt hat die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen eine panoramatische Schau über Künstlerinnen in der Sammlung kuratiert. Die im Forum Schlossplatz parallel stattfindende Ausstellung „Mit Haut und Haar“ zeigt Werke  von Lyn Bentschik, Lou Chavepayre, Lotta Gadola und Lysann König und beleuchtet damit die Generation der Mittzwanzigerinnen bis Mittdreißigerinnen, die im Aargauer Kunsthaus ausgespart wird. Lena Friedli, Leiterin des Forum Schlossplatz, hat den Ausstellungstitel von 1995 übernommen und ein kurzer Blick auf den damaligen Pressespiegel zeigt, wie sehr um Einordnungen und Wertungen gerungen wurde. Dabei waren die Werke von Marina Abramović, VALIE EXPORT, Natalia LL und Friederike Pezold bereits gut zwanzig Jahre alt. Es war klar, dass die vier Künstlerinnen mit ihren Arbeiten und Aktionen ein neues und durchaus auch politisches Feld betreten hatten.

Für die nachfolgende Künstlerinnengeneration ist es um einiges schwieriger, überhaupt neue Felder zu besetzen und der Titel „Mit Haut und Haar“ hat 2022 möglicherweise sogar eine größere Berechtigung. Denn es geht viel unmittelbarer um den eigenen Körper, der zum Schauplatz wird. Lotta Gadola (*1991) etwa malt sich in ihrer Doppel-Projektion „Traces“ mit in Farbe getunkten Fingern über die nackten Arme und Beine die Adidas-Streifen auf, während sie auf einem Drehsockel posiert. Im Flur zitiert sie zudem den Slogan der Sportartikelfirma „Giving a platform to those who lead the change“. Wenn jede gesellschaftliche Veränderung nichts anderes als ein Kaufanreiz ist, gibt es vielleicht wirklich Grund für die starke Individualisierung dieser Generation. Bei Lyn Bentschik (*1992) klingt das in einer Soundarbeit so: „This is my body/my DNA/my identity/this is my body (…) our politics in my body/my/his choice“. Der nicht-binäre Körper wird zum Gefäß einer Politik der Gleichgesinnten. In der Videoperformance „Schaufenster“ hatte Bentschik sich die Arbeitskleidung eines Velo-Kuriers und eines Gärtners übergezogen und so mit verschiedenen Rollen gespielt. Während Lysann König (*1986) bereits in der Remise die Ausstellungsbesucherinnen und -besucher mit Identitätsentwürfen von Künstlerinnen auf ironische Weise empfängt.

Mit den Blicken anderer kennt Lou Chavepayre (*1998) sich aus. Vor drei Jahren hatte sie sich in ihrer Heimatstadt Biarritz mit ihrem Rollstuhl an die Uferpromenade gestellt und mit einer Kamera die Reaktionen der anderen auf ihren Körper verdeckt aufgenommen. In „how to see“ bleibt sie selbst unsichtbar, in den Blicken der anderen spiegelt man ihren Körper als Chimäre, zumindest aber als Kuriosum. Tatsächlich ist die französische Künstlerin motorisch eingeschränkt und kommuniziert über ein Sprachprogramm, das sie mit den Augen steuert. Mit „absence de cul“ räumt sie ihrem Hintern, der den Blicken ansonsten verborgen bleibt, die Hauptrolle ein. Sie hat ihn in Bronze abgießen lassen, in Aarau darf man das beheizte Objekt anfassen, so dass einmal alle Barrieren hinsichtlich Körper, die nicht dem Standard entsprechen, fallen.