Trinh T. Minh-ha: The Ocean In A Drop. In der Nähe sprechen

Trinh T. Min-ha
Trinh T. Minh-ha, What About China?, USA/China 2021, Filmstill, © Moongift Films
Review > Stuttgart > Württembergischer Kunstverein
15. Dezember 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Trinh T. Minh-ha: The Ocean In A Drop.

Württembergischer Kunstverein, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 22. Januar 2023.

www.wkv-stuttgart.de

Trinh T. Minh-ha
Trinh T. Minh-ha, Forgetting Vietnam, USA, Vietnam 2015, Filmstill, © Moongift Films
Trinh T. Minh-ha
Trinh T. Minh-ha, Naked Spaces – Living Is Round, USA 1985, Filmstill, © Moongift Films
Trinh T. Minh-ha, The Ocean in a Drop, Ausstellungsansicht Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 2022, Foto: Hans D. Christ

Wenig deutet im ersten Moment darauf hin, das man Tage in diesem Saal verbringen könnte. Schmale Banner hängen von der Decke im Württembergischen Kunstverein und bilden ein lichtes, labyrinthisches Entrée zur Ausstellung von Trinh T. Minh-ha (*1952). Auf den weißen Stoffbahnen prangen Satzfragmente, knappe Gedanken, kurze Gedichte. „Alle schauen jetzt / auf Chinas Zweige. / Aber / wo ist Chinas / Wurzel?“, oder: „Das Meer träumt von seiner Einsamkeit“. Die Zeilen stammen aus verschiedenen Filmen der in Vietnam geborenen US-Amerikanerin, die seit den frühen 1980er Jahren mit der Kamera, aber auch als Theoretikerin und Dichterin eine Sprache der Repräsentation entwickelt hat, deren Einfluss auf die postkolonialen und feministischen Debatten der vergangenen 40 Jahre kaum überschätzt werden kann.

In Stuttgart wird Trinh T. Minh-ha nun mit einer großen Retrospektive gewürdigt, die allein schon szenografisch alle Voraussetzungen bereithält, um die Transdisziplinarität dieses Werkes nicht nur in seiner intellektuellen Dimension zu erkunden, sondern auch körperlich erfahrbar zu machen. Zu sehen sind sechs Filme von 1985 bis heute. Jeder läuft in einer eigenen Koje, die die Besucher:innen in je eine andere Farbe eintauchen lassen, von warmem Gelb über leuchtendes Rot bis zum intensivem Blau. Wer die Ausstellung ganz sehen möchte, sollte sich viel Zeit nehmen – gut elf Stunden beträgt die bloße Laufzeit der Filme. Dazu liegen auf drei großen Tischen zur Lektüre sämtliche Bücher bereit, die Trinh T. Minh-ha veröffentlicht hat, darunter auch ihr 1989 erschienenes Buch „Woman, Native, Other: Writing Postcoloniality and Feminism“, ein Klassiker postkolonialen Schreibens, in dem sie grundlegende Fragen zur Wirkung und Herrschaft des abendländischen Konzeptes der Kultur in der Auseinandersetzung mit den Kulturen der „Anderen“ thematisiert. Einige Gedanken daraus finden sich bereits vier Jahre zuvor in ihrem ersten Langfilm „Naked Spaces – Living Is Round“. Mit großer Ruhe und offenem Blick begleitet die Kamera hier das alltägliche Leben von Dorfbewohner:innen, vorwiegend in ländlichen Rundbauten unter anderem in Burkina Faso, Mali, Benin und im Senegal. Unterfüttert werden diese Bilder von drei weiblichen Stimmen aus dem Off. Während die eine aus dem Kanon lokaler Redensarten und afrikanischer Literatur zitiert und die andere aus Schriften westlicher Denker:innen, formuliert die dritte zum schweifenden Blick der Kamera präzise Gedanken aus der Ich-Perspektive. „Oft haben wir unsere eigenen Grenzen für die Kultur gehalten, die wir betrachteten“, heißt es dort einmal. Und an anderer Stelle: „Jedes Zeichen enthält in sich selbst eine Zusammenfassung des Ganzen. Und der Tropfen ist der ganze Ozean“. Nicht zufällig leiht dieses Bild der Ausstellung den Titel.

Schon früh ließ Trinh T. Minh-ha auf subtile Weise die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft, Dokumentation und Fiktion verschwimmen, im klaren Bewusstsein darüber, dass Wissen, das sich gezielt dem Deutungsanspruch der Macht entzieht und dadurch deren Autorität verneint, nur zwischen den Dingen entstehen kann. In „Forgetting Vietnam“ (2015) etwa nähert sie sich den Spuren des Krieges, ohne die Zerstörung zu zeigen, die in ihrem Geburtsland bis heute sichtbar ist. Stattdessen interessiert sie sich für das Beiläufige, Flüchtige, Alltägliche.

In „What About China?“ (2021) reflektiert sie anhand von Architektur, Handwerk, Musik und Spiritualität das Prinzip der Harmonie in China, aber auch die Ambivalenz der Idee des Einklangs von Individuum, Gesellschaft und Natur, sobald sie zum Fundament politischer Macht wird. Sie wolle nicht „über“ oder „für“ jemanden, sondern „in der Nähe sprechen“, formulierte Trinh T. Minh-ha in ihrem Debütfilm „Reassemblage“ (1982) ihr künstlerisches und theoretisches Programm des Dazwischen. Dieser Verweigerung des objektivierenden Blicks folgt übrigens  auch das Konzept der Ausstellung selbst. Zwar ließen sich hier sechs der insgesamt neun Langfilme Trinh T. Minh-has in voller Länge sehen. Tatsächlich aber setzt die Stuttgarter Retrospektive weniger auf die Logik von Linearität und Vollständigkeit, als auf das enthierachisierende Potenzial des Übergangs zwischen den Bildern, Orten und Medien. Mit jedem Besuch setzt sich diese Ausstellung neu zusammen.