Paula Rego: There and Back Again. Der letzte Tanz

Paula Rego, Angel, 1998, Courtesy of Ostrich Arts Ltd and Victoria Miro, © Ostrich Arts Ltd
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16. Dezember 2022
Text: Kristina Tieke

Paula Rego: There and Back Again.

Kestnergesellschaft,
Goseriede 11, Hannover.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 29. Januar 2023.

www.kestnergesellschaft.de

Paula Rego, Love, 1995, Courtesy of Ostrich Arts Ltd and Victoria Miro, © Ostrich Arts Ltd
Paula Rego, The Company of Women, 1997, Courtesy of Ostrich Arts Ltd and Victoria Miro, © Ostrich Arts Ltd
Paula Rego, Crivelli's Garden, 1990-91, © The National Gallery, London

[—artline Nord] Sie ist eine starke Frau. Gekleidet in ein historisches Gewand mit weitem goldenen Rock, hält sie in einer Hand ein Schwert, in der anderen einen Malerschwamm. Gerade so, als sei auch die Kunst eine Waffe und das Schwert ein Symbol ihres Selbstbewusstseins. „Angel“ hat Paula Rego ihre Darstellung weiblicher Macht aus dem Jahr 1998 genannt, inspiriert vom spanischen Barockmaler Bartolomé Esteban Murillo. Es sei das Gemälde, sagte sie, das sie auf ihrer letzten Reise würde mitnehmen wollen.

Im Juni ist Paula Rego, die 1935 in Lissabon geboren wurde, mit 87 Jahren in London gestorben. Die fulminante Ausstellung, die ihr die Kestnergesellschaft jetzt in Hannover ausrichtet, hat sie gemeinsam mit Direktor Adam Budak und Co-Kurator Alistair Hicks noch selbst vorbereitet. Ihr Status als feministischer Malerstar war da bereits gefestigt, nicht zuletzt durch ihre Retrospektive 2021 in der Tate Britain und durch den Auftritt bei der diesjährigen Venedig Biennale. Mit mehr als 80 Werken, darunter die monumentale Wandarbeit „Crivellis Garden“ (1990) aus der National Gallery in London, führt ihre erste Soloschau in Deutschland in ihren malerischen Kosmos ein und feiert sie als große Geschichtenerzählerin.

„Crivellis Garden“ empfängt die Besucher gleich im ersten Saal. Eine Fülle weiblicher Heiligenfiguren aus der National Gallery ist hier vor einer Kulisse aus blau-weißen Azulejos, den traditionellen portugiesischen Keramikfliesen, zu alltäglichen Verrichtungen versammelt. Sie fegen und pflegen, treffen sich zum Small Talk und spielen mit den Kindern. Wunderbar altmeisterlich ausgeführt, ist dies eine Hommage an die Frauen, für die Museumsangestellte, Freundinnen und Familienmitglieder Modell gestanden haben. Die großen Themen sind in Paula Regos Arbeit immer zutiefst persönlich.

Den explizit biografischen Arbeiten schenkt die hannoversche Schau viel Raum. „Time – Past and Present“ (1990) zeigt Paula zeichnend als Kind im Beisein ihres Vaters, der sie 1950 nach England zur Schule schickte, um sie vor der regressiven Salazar-Diktatur zu schützen. Theatralisch-groteske häusliche Szenen spiegeln die schwierige Ehe mit dem britischen Maler Victor Willing, der 1966 an Multipler Sklerose erkrankte. Das Gemälde „The Dance“, entstanden 1988 im Jahr seines Todes, zeigt Victor mit verschiedenen Frauen tanzend und taucht die Erinnerung schwermütig in blassblaues Mondlicht.

Das Ausstellungsdesign des portugiesisch-französischen Architekten Didier Fiúza Faustino schafft mit farbigen Wänden und weißen, mit Kunststofffolie bis zum Zerreißen bespannten Raumteilern einen Rahmen für die Fragilität und Spannung von Regos Kunst. Der letzte Saal ist atemberaubend, ein neuzeitlicher Kreuzgang, in dem die „Abtreibungsserie“ ihre Wirkung entfaltet. Rego hatte 1998 mit drastischen Motiven leidender Frauen in Hinterhofkliniken auf ein gescheitertes Referendum zur Legalisierung der Abtreibung in Portugal reagiert; ihre Gemälde sorgten für einen Skandal. Eindringlicher sind nur die intimen Pastellzeichnungen, in denen sie 2007 ihre eigene schwere Depression verarbeitete: Frauen, verstört, verhärmt, gekrümmt, den Blick auf den Betrachter gerichtet. Jahrelang hielt sie die Arbeiten unter Verschluss.

In einem schonungslosen Dokumentarfilm über seine Mutter, den Regisseur Nick Willing 2017 mit Interviews, Home-Movie-Ausschnitten und Archivmaterial schuf, spricht Paula Rego über ihre Depression – und holt vor laufender Kamera die verborgenen Zeichnungen hervor. Der Film ist in der Ausstellung zu sehen, zusammen mit einer Rekonstruktion ihres Londoner Ateliers, das mit Requisiten, Kostümen und Puppen fast vollständig nachgebaut wurde. Die Abgründe des Lebens und ihre Verwandlung in Kunst – in der Kestnergesellschaft treffen sie die Besucher mit existenzieller Wucht.