Kleines Monument für die Wiederkehr des Verdrängten: Phyllida Barlow in Münster

Phyllida Barlow, STREET untitled: shelfstructure, 2010, © Phyllida Barlow, Foto: LWL / Hanna Neander
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6. Dezember 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Phyllida Barlow: STREET untitled : shelfstructure.

LWL-Museum Kunst und Kultur,
Domplatz 10, Münster.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 12. März 2023.

www.lwl-museum-kunst-kultur.de

 

Phyllida Barlow, STREET untitled: shelfstructure, 2010, © Phyllida Barlow, Foto: LWL / Hanna Neander
Phyllida Barlow, Blaues Objekt auf beigem Grund, o.J., © Phyllida Barlow, Foto: LWL / Hanna Neander
Phyllida Barlow, Schwarze Struktur auf pinkem Grund, o.J., © Phyllida Barlow, Foto: LWL / Hanna Neander

[—artline Nord] Gemessen an dem, was Phyllida Barlow in den vergangenen Jahren in der Kunsthalle Zürich (2016), im britischen Pavillon der Venedig-Biennale (2017) im Münchner Haus der Kunst (2021) oder zuletzt im Sprengelmuseum Hannover (2022) an Materialmengen in die Austellungsräume wuchtete, präsentiert sich ihre aktuelle Installation „STREET untitled : shelfstructure“ im Lichthof des LWL-Museums in Münster in geradezu aufgeräumter Überschaubarkeit. Fünfzehn Regalobjekte reihen sich hier in dichter Staffelung aneinander. Unterschiedlich breit und in der Höhe leicht variierend, wirken sie mit ihren schräg abfallenden Fronten und den großen Fächern zum Durchschauen im ersten Moment wie das Architekturmodell einer Hochaussiedlung in Terrassenbauweise. Die Kanten der Regale sind grob in Rosa gefasst, an den Seiten scheint unter der Farbe das Holz hervor. Wie so oft bei Barlows Installationen stammt auch hier das Material vom Sperrmüll, was ihr etwas leicht Ruinöses verleiht. In der vorbildlich sanierten historischen Architektur des LWL-Museums mutiert diese Arbeit so zu einem Fremdkörper wie aus einer anderen Welt, irgendwo zwischen Barrikade und Hinterlassenschaft – ein leer geräumtes Archiv als wuchtiges Monument für die Wíederkehr des Verdrängten, könnte man sagen.

Dass dabei der Humor nicht zu kurz kommt, lassen die zwei Dutzend Zeichnungen erahnen, welche die Installation an den Wänden der umlaufenden Galerie als eine Art Protokoll der experimentellen Erkundung des Verhältnisses von Fläche, Farbe und Raum flankieren. Eine Familienaufstellung der Grundelemente künstlerischer Praxis sozusagen. Im Zentrum dieser Papierarbeiten von der Mitte der 1960er Jahre bis heute steht die Auseinandersetzung mit der Grenze als Strukturelement, das Innen- und Außenräume definiert und damit auch Strategien des Ein- oder Ausschlusses, der Öffnung oder Isolation. Tatsächlich waren es solche Bildfindungen, die am Beginn von Barlows Karriere standen. 1944 in Newcastle geboren, studierte sie zunächst Malerei in London und wechselte erst später zur Bildhauerei. Vier Jahrzehnte lehrte die fünffache Mutter an unterschiedlichen Kunsthochschulen und schuf zugleich ein Werk, das in seiner ärmlichen Materialität und reduzierten Formensprache Einflüsse aus der Arte Povera und der Minimal Art aufnahm. Bis heute entwickelt sie daraus atemberaubende Studien über das Scheitern vermeintlich gültiger Ordnungen angesichts der Anarchie des sich selbst organisierenden Materials. – Im Lichthof des LWL-Museums schwebt über „STREET untitled“ übrigens die Arbeit einer Schülerin Phyllida Barlows: „Untitled (books)“ von Rachel Whiteread.