Joan Jonas: Auch Fische haben Gefühle

Joan Jonas
Joan Jonas, Ausstellungsansichten im Haus der Kunst, München, Foto: Maximilian Geuter, © Joan Jonas / VG Bild-Kunst, Bonn 2022
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16. November 2022
Text: Jürgen Moises

Joan Jonas.
Haus der Kunst München. Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 26. Februar 2023.
hausderkunst.de

Joan Jonas
Joan Jonas, They Come to Us without a Word II, Performance im Teatro Piccolo Arsenale, Venedig, 2015, Foto: Moira Ricci, © Joan Jonas / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Es hat etwas von Slapstick, wie die fünf Akteure am Strand gegen den Wind ankämpfen. Auch weil das gleichnamige Video „Wind“ schwarzweiß und stumm ist, muss man an alte Buster Keaton-Filme denken. Darin treten ebenfalls Naturphänomene oder andere höhere Kräfte als Gegenspieler auf und beeinflussen die Handlung. In „Wind“ besteht diese aus einfachen Bewegungen, welche die Protagonisten paarweise vollziehen. Bis der Wind alles durcheinanderwirbelt. Gedreht hat den Film Peter Campus. Im Auftrag von Joan Jonas, von der die Choreografie stammt. Außerdem ist Jonas als Akteurin zu sehen, in diesem 1968 entstandenen, frühen und deshalb wichtigen Werk, weil es mit der Natur als Akteurin und an Kostümen angebrachten Spiegeln als Mittel der Verdopplung Motive des späteren Œuvres vorwegnimmt.

Zu sehen ist „Wind“ im Münchner Haus der Kunst in einer Joan Jonas-Retrospektive, die ebenfalls im Kampf gegen Widerstände zustande kam. Ursprünglich für 2018 geplant, kamen dem Projekt zuerst die unwürdige Absetzung und der Tod von Okwui Enwezor zuvor. Der dann zwischenzeitig zuständige kaufmännische Direktor sagte die Joan Jonas-Schau ab und zeigte stattdessen Markus Lüpertz und Jörg Immendorff. Unter dem neuen Leiter Andrea Lissoni wird die Ausstellung jetzt nachgeholt. Und wenn man nun die wunderbaren, sehr spielerischen und zudem sehr aktuell und lebendig wirkenden Arbeiten von Joan Jonas so sieht, kann man nur sagen: Ein größerer Gegensatz zur Altherren-Malerei von Lüpertz und Immendorff lässt sich kaum denken. Dabei ist Joan Jonas selbst schon 86. Aber zum einen passen sich ihre feministischen und ökologischen Themen fast bruchlos in den Zeitgeist ein. Das war bei Fujiko Nakaya, Heidi Bucher und Phyllida Barlow ähnlich, denen in den letzten zwei Jahren Werkschauen im Haus gewidmet waren. Zum anderen aktualisiert die Amerikanerin ihre Werke immer wieder oder überführt diese in neue Arbeiten. Passend zum Holzboden in der Mittelhalle, der für Fujiko Nakaya verlegt wurde und nun aus Gründen der Nachhaltigkeit dort liegen blieb. Darauf hat nun Joan Jonas ihren Auftritt. Die in New York und Kanada lebende Künstlerin gilt als Pionierin der Performance-, Video- und Installationskunst und ist als solche immer noch aktiv. Am 13. November wird sie die Performance „Out Takes. What The Storms Washed In“ in München aufführen.

Mit Masken und Objekten, die teilweise als Requisiten in Performances dienten, beginnt der 32 Arbeiten umfassende Parcours. Wobei: Die erste Arbeit, das Video „Wolf Lights“, hängt bereits zwischen Säulen am Eingang. Darin sieht man eine Tänzerin mit Wolfsmaske, die sich auf allen Vieren vor Leuchtreklamen bewegt. Ebenfalls schon vor der Ausstellung platziert ist ein Werk der „My New Theater“-Serie: Tragbare Videotheater-Kästen, die Jonas 1997 erfand und in denen kurze Video-Performances laufen. Mehr Platz nimmt die Installation „Reanimation“ im Mittelsaal ein, die Jonas für die Documenta 13 entwickelte. In Form mehrerer Videos, einer Kristallskulptur und rund 20 Zeichnungen geht es hier um das Schmelzen der Gletscher. Ausgangspunkt war Halldór Laxness‘ Roman „Under the Glacier“. Auch für andere Arbeiten dienten Romane, Mythen oder Märchen als Inspiration. Das Erzählen ist genauso wie das Zeichnen ein zentrales Element bei Jonas. So sieht man in „Reanimation“ und in „Lines In The Sand“ ihre zeichnende Hand. Zu „Stream of River, Flight of Pattern“ gehören wunderbare Vogelzeichnungen und für „Moving Of The Land II“ hat sie Meerestiere auf Papier gebracht. In den Videos dazu gibt es dokumentarisches Material aus verschiedenen Ländern, das mit Performances vermischt oder überblendet wird. In der „Volcano Saga“ sieht man die junge Tilda Swinton, in „Songdelay“ ist der Künstler Gordon Matta-Clark unter den Performern. Beispiele für die Netzwerkerin Joan Jonas. Auch das Erzählen hat für sie eine soziale Funktion. Ansonsten geht es sehr viel um Mensch, Tier und Natur. „Fische haben Gefühle“ heißt es in „Moving Of The Land II“ und: „Wie erklären wir das Unbekannte? Mit Geschichten und Mythen.“ Mit solchen, wie sie auch Joan Jonas auf faszinierende Weise erzählt.