Queer Trust: Verletzlichkeit kann die Grundlage für Verbindung sein

Dana Michel, The Schenectady Report, 2022 (Performance), Tarek Lakhrissi, A horn is a thorn is a horn, 2021 (Installation), Ausstellungsansicht Shedhalle, Courtesy the artists, Foto: Carla Schleiffer
Review > Zürich > Shedhalle
1. November 2022
Text: Theresa Roessler

Protozone 8: Queer Trust.

Shedhalle, Seestr. 395, Zürich.
Samstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 4. Dezember 2022.

www.shedhalle.ch

Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė, Freestanding Votive Flowers (I–VI), 2022, Ausstellungsansicht Shedhalle, Courtesy the artists, Foto: Carla Schleiffer
Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė, Votive Flowers (I), 2022, Ausstellungsansicht Shedhalle, Courtesy the artists, Foto: Carla Schleiffer
Natasha Tontey, Garden Amidst the Flame, 2021 (r.), Videoinstallation, Ausstellungsansicht Shedhalle, Courtesy the artist, Foto: Carla Schleiffer

„Trust is temporal and unstable. It’s a belief. It’s about taking a risk”, konstatiert Laurence Rassel in einem aufgezeichneten Gespräch mit den künstlerischen Leiterinnen der Shedhalle Zürich Thea Reifler und Phila Bergmann sowie Terre Thaemlitz. Damit wird bereits eine für die aktuelle Ausstellung „Queer Trust“ essentielle Verknüpfung angesprochen, die sich zwischen den Parametern Zeitlichkeit, Glaubwürdigkeit, Integrität und Absicht ergibt. Letztgenanntes wiederum steht auch mit Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen in Zusammenhang, die wohl eher Vertrauen mindern als bestärken. Dem sind sich Reifler und Bergmann bewusst und berichten von eigenen Erfahrungen, wie fragil ein Vertrauensverhältnis zwischen Kuratorin und Künstler*in manchmal sein kann beziehungsweise von welchen Indikatoren es abhängig ist.

Das Gespräch, das in einer Art Vorraum zur Ausstellung läuft, hallt während des Besuchs hartnäckig nach, werden hier doch strukturelle Bedingungen und Begrenzungen queeren Vertrauens diskutiert. „Vertrauen aufzubauen ist erschöpfend“. In einer Gesellschaft, die sich einem Dazwischen, potentieller Ambiguität und Multiperspektivität verweigert, stellt sich „Queer Trust“ Fragen wie: Was und wer setzt Vertrauen voraus, was und wer rechtfertigt es? Was heißt es überhaupt, sich jemandem anzuvertrauen? Wer kann es sich leisten zu vertrauen, auch aus finanzieller Sicht? In Anbetracht der individuellen Erfahrungen von Ausgrenzung und Stigmatisierung sowie kollektiver Traumata einer LGBTIQ*-feindlichen Lebensrealität schließt sich gleich eine weitere, drängende Frage an. Wie kann und/oder sollte Selbst- und Fremdvertrauen überhaupt noch aufgebaut werden?

Die Begrifflichkeit queer, das führen die Arbeiten in der Shedhalle erneut vor Augen, ist eine extrem elastische und geht weit über geschlechtliche Variabilität hinaus, geht in einer Haltung, einer Lebensweise auf. Queer ist keine Identität, stattdessen eine scharfe Kritik an derartigen tradierten Konzepten wie Geschlecht, Wissen, Kunst, Geschichte, Erinnerung usf., die einem festgefahrenen consensus omnium entsprungen scheinen. Praktiken des Destabilisierens und Rekonfigurierens lassen sich etwa im Film „Garden Amidst the Flame“ (2021) von Natasha Tontey nachspüren, in welchem sie kämpferisches, maskulines Einzelkämpfer-Dasein gegen Fürsorglichkeit, Unverwundbarkeit und Zusammengehörigkeit einzutauschen weiß. Tontey schreibt ein Ritual der Minahasa-Bevölkerung (nordindonesische Provinz Sulawesi) um, vermacht den Kriegerinnen eine Rüstung, die sie vor jeglichen Gefahren schützen.

In Anbetracht rassistisch motivierter, systematischer Ausbeutung sowie trans- und xenophober Stereotypisierung sucht auch Tarek Lakhrissi nach Medien der Selbstverteidigung und -bestimmung. Seine Installation „A horn is a thorn is a horn“ (2021) benennt sexuelles Begehren, Verlangen und „horniness“ auf poetische und dennoch ganz konkrete Weise, wie es der Titel bereits vermuten lässt. Gedichte auf an Ketten in den Raum hängenden Plexiglasplatten bemühen sich eines Genealogieentwurfes, der nach neuen, vertraubareren Verbindungen zu sich selbst und anderen/m sucht.

Wiederum Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė nehmen sich in ihrer Arbeit „Leave No Trace (Athens) I-VIII“ der Vergangenheit und deren Abdruck an, der einen gemeinsam erlebten, gefühlten Raum skizzieren lässt. Die bedruckten und auf Metallrahmen aufgespannten Chiffonstoffe wirken wie visualisierte Gedächtnisschlieren, eine verschwommene Rekonstruktion dessen, was da mal war und nur noch Spur bleiben kann. Die Künstlerinnen der Ausstellung teilen mit den Besucher*innen mitunter vermeintlich negative Gefühle: Angst, Trauer, Taubheit/ Ohnmacht, Scham, Erschöpfung, Wut – queere Gefühle, wie sie Ann Cvetkovich in „The Alphabet of Feeling Bad“ benennt, die sich einem kapitalisierten Happy-Modus entziehen und eine ganz eigenständige Potenzialität im queeren Kontext vorweisen: „V is for Vulnerability (…) I want to welcome Vulnerabilitiy as the way in which we make ourselves open to ourselves and to others. Vulnerablity can be the foundation of connection”. So ist es womöglich die eigene und geteilte Verletzlichkeit, die uns vertrauen lässt, Vertrauen zulässt.