Florina Leinß, Echoes and Traces: Formen und Farben

Florina Leinß, Echoes and Traces, 2022, Ausstellungsansicht Städtische Galerie, Karlsruhe, Courtesy the artist
Review > Karlsruhe > Städtische Galerie Karlsruhe
31. Oktober 2022
Text: Jolanda Bozetti

Florina Leinß, Echoes and Traces.
Städtische Galerie Karlsruhe
Lorenzzstr. 27, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 20. November 2022.
galerie.karlsruhe.de

Sie wirken rätselhaft abstrakt und zugleich auf seltsame Weise vertraut: Breite Linien, die in einem abgehackten Zickzack über die Bildfläche laufen oder auch wie Gedärme sich schlängeln und auftürmen. Es sind Aufzeichnungen von Bewegungen, die wir alle täglich ausführen: mit dem Finger oder dem Cursor über die Bildschirme unserer digitalen Geräte. Die Künstlerin Florina Leinß (*1984) hat auf dem Touchpad diesen Bewegungen nachgespürt und daraus freie Zeichnungen entwickelt. Als Aquatinta-Radierungen hat sie die sonst unsichtbar bleibenden Spuren dem Papier eingeprägt, sie aus dem digitalen in den analogen Raum transferiert. Die meist unbewussten, flüchtigen Gesten erhalten so eine sinnliche, visuelle Entsprechung.

„Echoes and Traces“ ist der Titel der Ausstellung, in der die Stuttgarter Künstlerin ihre an der Cité Internationale des Arts in Paris entstandenen Arbeiten zeigt. Ausgangsidee für ihren dortigen Aufenthalt war die Suche nach Farben. Sie sammelte jeden Tag eine. Auf niedrigen Vitrinen liegen sie als thematische Spektren aus, ganz auf den jeweiligen Ton reduziert, Gouache auf Papier. Farben aus dem städtischen Raum, aus der digitalen Pixel-Welt oder aus der Palette eines anderen Künstlers. In den offenen, durchlässigen Ausstellungsräumen der Städtischen Galerie Karlsruhe begegnen sie den Werken der Sammlung, bilden aber auch ein Ensemble mit ihren eigenen Gemälden und Radierungen.

Leinß sucht den Dialog mit der Architektur des Ausstellungsraumes. Für die Schau „Rochade“ in der Städtischen Galerie Ostfildern entwickelte sie 2019 aus der Kartierung der Risslinien im Boden abstrakte Struktruren, die, teils übereinander geschichtet, ein Wandbild aus reinen Form- und Farbwerten ergaben. In Karlsruhe dient die zentrale Wandarbeit zugleich als Hintergrundfolie für die Radierungen.

Nicht nur Farben werden gesammelt, sondern auch Formen. Leinß sieht sie dort, wo der alltägliche Blick sie nur selten bewusst wahrnimmt. In der uns alle umgebenden Dingwelt aus industriell gefertigten, designten Objekten. Ausgangspunkt ihrer abstrakten Gebilde sind oft Gebrauchsgegenstände, die wir händisch nutzen und die uns im täglichen Leben permanent umgeben. Auch die großen graublauen Flächen der aus Dispersionsfarbe und Graphit gestalteten Wandarbeit in Karlsruhe können als lose Referenz auf solche Objekte gelesen werden, als Zu- oder Ausschnitte, etwa von Stoffen oder Verpackungen. Eine ähnliche Formensprache ist bereits in dem 2018 erschienen Künstlerinnenbuch mit dem bezeichnenden Titel „Ersatzteillager“ zu finden. Es ist ein Fundus abstrakter Formen, eine Art Vokabular einer ganz eigenen Formensprache, die wiederum an eine farbliche Entsprechung gekoppelt ist. In verschiedenen Neukombinationen und in unterschiedlichen Maßstäben tritt dieses Vokabular in Malereien und Rauminstallationen wieder. All das greift in den Arbeiten von Florina Leinß ineinander, verzahnt sich zu einem Ganzen.