Sonja Feldmeier, Based on a true story: Fällstudien in drei Kapiteln

Sonja Feldmeier, The Peepul Tree, 2020, Videostill, Courtesy the artist
Review > Liestal > Palazzo Liestal
12. Oktober 2022
Text: Iris Kretzschmar

Sonja Feldmeier. Based on a True Story.
Kunsthalle Palazzo. Bahnhofplatz, Liestal.
Mittwoch bis Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 30. Oktober 2022.
www.palazzo.ch
Sonja Feldmeier: based on a true story, Verlag für Moderne Kunst,Wien 2019, 92 S., 29 Euro | ca. 36 Franken.

Sonja Feldmeier, Ausstellungsansicht Kunsthalle Palazzo Liestal, 2022, Courtesy the artist
Sonja Feldmeier, The Peepul (Nafis Rao), 2017, Courtesy the artist
Sonja Feldmeier, The Peepul (Riazat), 2017, Courtesy the artist

Seit ihrer initiatorischen Reise 2010 nach Indien – ganze zwölf Jahre – hat Sonja Feldmeier (*1965) daran gearbeitet, was jetzt in ihrer Soloschau in der Kunsthalle Palazzo in Liestal zu sehen ist. Ein Kosmos aus Bildern, Skulpturen und Filmen. Alle Arbeiten hängen zusammen und sind hier erstmals als Ganzheit zu erleben. Das Herz der Installation ist der preisgekrönte Film „The Peepul Tree“ (2020), der auf Feldmeiers Stipendienaufenthalt in Indien beruht. Die in Basel lebende Künstlerin stiess bei einem Zwischenhalt in Haridwar auf ein merkwürdiges Geschehen. An einer belebten Strasse machten sich sieben Männer daran, einen riesigen Baum von mehreren Metern Durchmesser mit einfachsten Handwerkzeugen zu fällen. Gebannt von dem Ereignis blieb Feldmeier und verfolgte die mehrtägige Aktion mit der Kamera. Aus den 72 Stunden Material schnitt sie ein 25-minütiges Video. Der Film berührt, zeigt eindrücklich das soziale Miteinander der Menschen rund um den Sterbeprozess des mächtigen Riesen, den Kontakt zur Filmerin, den Abbau und Abtransport des kleinen Heiligtums und den Stamm als Lebensinsel für Tiere.

Begleitet von sphärischen Klängen betritt man die Schau mit dem Titel „Based on a True Story“ und sieht in der Blickachse weit hinten ein glimmendes Feuer. Im ersten Raum hängen riesenhafte Holzfragmente. Es sind Tools ähnlich einem Computerspiel, um die Zukunft zu verändern. „Future Pioneer“ (2022), so der Titel, sind knorrige, bis zu einem Meter grossen Schlüssel in Schwarz und Signalrot gefasst. Sie winden sich wie gekrümmte Körper an der Wand. Unweigerlich denkt man an Alraunen, denen mit ihren zergliederten Wurzeln menschenähnliches Aussehen und magische Kräfte zugeschrieben werden. Diese jüngste Arbeit von Sonja Feldmeier stammt aus einer gigantischen Fällaktion von hunderten von Bäumen in der Nähe ihres Schweizer Ateliers – ein Déjà-vu. Während in einem kleinen Seitenraum ein rauchender „Kopf“ Nebelschwaden ausstösst, liegt eine weisse Skulptur auf gekacheltem Sockel. „Anchor (Taslim Mohammed)“ (2022), ruft den Namen eines Baumfällers auf. Jeder der sieben indischen Arbeiter ist in der Ausstellung präsent, mehrfach transformiert durch die synästhetische Wahrnehmung der Künstlerin – zu abstrakten Skulpturen, schillernden Tafelbildern oder im Film, untermalt von individuellen Soundporträts. Die betörenden Klänge komponierte Vojislav Anicic auf der Basis der Bilder von Feldmeier.

Im letzten Saal der Ausstellung dringt das Ungeheuerliche der Fällaktion voll ins Bewusstsein. Drei Filme mit unterschiedlichem Fokus sind hier parallelgeschaltet. Da ist der Hauptfilm, verso der Baum als Individuum, mit seiner schrundigen Haut, den Verletzungen von Werkzeugen und Perlen aus Harz, die wie Blut über die Rinde laufen. Dort ein flackerndes Tondo mit der Glut des Feuers. Hände wärmen sich daran, formen in der Begegnung eine unsichtbare Skulptur. Auch das Publikum sitzt auf einem leuchtend orangenen Strunk und bildet einen Kreis. Die monumentale Sitzgelegenheit, Skulptur und Möbel zugleich, macht die enormen Ausmasse des gefällten Riesen sichtbar. Drei Aussparungen sind als Negativform auf der anderen Seite der Screens platziert. Sie erinnern an das Innenleben des Stammes als Höhle für Tiere und als Wasserspeicher.

Warum dieser ehrwürdige Baum gefällt werden musste, erfährt man erst im Abspann. Der 450 Jahre alte Riese, der schon Generationen beschützt und Schatten geboten hat, musste den religiösen Festlichkeiten des Kumbh Mela weichen. Weil Millionen von Pilgern erwartet wurden, beschloss die Regierung aus Sicherheitsgründen den alten, heiligen Baum umzulegen. Welch ein Widerspruch!