Orte der Kunstproduktion: Künstlerhaus Lukas

Katrina Neiburga, Pickled Long Cucumber, 2017, Videostill, Courtesy the artist, zu sehen in der Ausstellung "Landschaft?" im Neuen Kunstaus Ahrenshoop
Thema
26. September 2022
Text: Peter Boué

Künstlerhaus Lukas,
Dorfstr. 35, Ahrenshoop.
www.kuenstlerhaus-lukas.de

Neues Kunsthaus Ahrenshoop,
Bernhard-Seitz-Weg 3a, Ahrenshoop.
www.neues-kunsthaus-ahrenshoop.de

Ross Constable, CAIRO,IL, 2017, Videostill, Courtesy the artist, zu sehen in der Ausstellung "Landschaft?" im Neuen Kunstaus Ahrenshoop
Falk Messerschmidt, Atlantis to come, 2020/21, Videostill, Courtesy the artist, zu sehen in der Ausstellung "Landschaft?" im Neuen Kunstaus Ahrenshoop

[—artline Nord] Fast verschwindet das nicht eben kleine Haus mit der intensiv blau gefassten Holzfassade hinter den hohen Bäumen, wenn man sich von der Uferstraße dem Eingang nähert. Blau war das Haus nicht immer, aber der kurze Weg zum Meer wird sich nur unerheblich bis zu jener Zeit der Gründung des Hauses 1894 unterschieden haben. Der Maler Paul Müller-Kaempff eröffnete das Künstlerhaus als eine private Malschule für Künstler:innen, denen damals der Weg zur Akademie noch verwehrt war. Der heilige Lukas, Schutzpatron der Ärzte und Kunstschaffenden, stand Pate für ein Haus, das insbesondere in den ersten zwanzig Jahren des letzten Jahrhunderts aufs Engste verflochten wird mit der Entwicklung der Malerei zu jener Zeit. Ahrenshoop, im Fischland an der Ostsee, wurde auch Erholungsort für die Künstler:innen des „Blauen Reiter“ oder der „Brücke“, und die wechselvolle Geschichte des Ortes wie des Hauses ist gewesen, dass es sich im Dritten Reich als ein schon anders verstandener Rückzugsort eignete, während die DDR das Künstlerhaus als Erholungsheim für die Kulturschaffenden weiterhin betrieb. „Kulturschaffend“ heißt damals wie heute, dass künstlerische Arbeit aller Disziplinen gemeint ist.

Nach unterschiedlichen Leitungen zuvor und mit der Direktion von Gerlinde Creutzburg über 15 Jahre führt seit Herbst 2021 die Kulturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Olivia Franke das Künstlerhaus Ahrenshoop. Sie hat von ihrer Vorgängerin ein internationales, auf die Anrainerstaaten der Ostsee und weitere Länder Nordeuropas bezogenes Stipendienaustauschprogramm übernommen, das sie nun aktuell erweitert. So kam zu Finnland, Schweden, Dänemark, Norwegen, Island, dem Vereinigten Königreich und den baltischen Staaten, aus denen sich interessierte Künstler:innen bisher bewerben können, zuletzt Polen hinzu. Auch Russland war möglich, ist zur Zeit aber aufgrund der Sanktionen wegen des Angriffkrieges gegen die Ukraine ausgeschlossen. Die Residenzdauer der Stipendiat:innen ist mit ein bis zwei Monaten relativ kurz, auch Workshop-Aufenthalte von bis zu zwei Wochen sind möglich. Das heißt zugleich, dass sehr viele Residenzen vergeben werden können, mehr als 60 im Jahr. Das Stipendium beinhaltet kostenfreie Unterkunft plus 1000 Euro monatlich. Dem Haus und der Tradition verpflichtet sind Bewerbungen neben der Bildenden Kunst aller Ausrichtungen – mit den meisten Bewerbungen – in Literatur, Tanz und Performance, Musik und Komposition möglich. Aber auch für Projekte, die sich an Schnittstellen von Kunst zur Ökologie bewegen. Bis zu sechs Stipendiat:innen können gleichzeitig in den unterschiedlich großen, lichten Räumen wohnen und arbeiten, eine große Gemeinschaftsküche ist vorhanden, aber auch mehrere große Terrassen und Balkone mit Blick in den Ort, die Bäume und auf das Meer.

Selbst Wissenschaftler:innen mit Projekten der kuratorischen Praxis können sich bewerben – und dafür gibt es sogar ein Spielbein: das Neue Kunsthaus Ahrenshoop ist ein Ausstellungs- und Veranstaltungsort, der sich als Bühne dessen versteht, was im Lukas gedacht und produziert wird. So gibt es hier neben Kunstausstellungen auch Lesungen oder Performances. Zurzeit ist die Ausstellung „Landschaft?“ zu sehen, mit aktueller Videokunst, kuratiert von Claus Friede als Resident und Olivia Franke selbst. Sechs Kunstschaffende aus Deutschland, den USA und Litauen zeigen mit Projektionen auf Materialien oder dokumentargesättigten Fiktionen, wie unterschiedlich der Begriff der Landschaft die Kunst umtreibt.

Von Landschaft natürlich ist der genius loci Ahrenshoop nicht zu trennen und nicht von der Zurückgezogenheit, die damit in Verbindung stehen mag. Der Aufenthalt hier ist demnach, wie Olivia Franke es versteht, weniger für das rasche Arbeiten gedacht, sondern eher für die Zeit zwischen den Projekten und dafür, innezuhalten. Das Künstlerhaus ist dafür der Schutzraum und der Freiraum in einem.