Tony Cokes, Fragments, or just Moments: Denken in Bewegung bringen

Tony Cokes, aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, 2022, Installationsansichten Haus der Kunst, aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, Installationsansicht Kunstverein München, Courtesy the artist, Foto: Maximilian Geuter
Review > München > Haus der Kunst
8. Juli 2022
Text: Jürgen Moises

Tony Cokes: Fragments, or just Moments.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag bis 22.00 Uhr.
Bis 23. Oktober 2022.
www.hausderkunst.de

Kunstverein München, Galeriestr. 3, München. D
ienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 11. September 2022.
www.kunstvereinmuenchen.de

Tony Cokes, aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, 2022, Installationsansichten Haus der Kunst , aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, Installationsansicht Kunstverein München, Courtesy the artist, Foto: Maximilian Geuter
Tony Cokes, aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, 2022, Installationsansichten Haus der Kunst, aus der Ausstellung: Fragments, or just Moments, Installationsansicht Kunstverein München, Courtesy the artist, Foto: Maximilian Geuter

„Tanz den Mussolini“. Das hat die Deutsch Amerikanische Freundschaft (DAF) vor gut 40 Jahren gesungen und damit für Irritationen auf dem Dancefloor gesorgt. Auch Tony Cokes bringt seit Jahren Musik, Politik und Geschichte zusammen, nur macht das der afroamerikanische Künstler in Museen und Galerien. Aktuell geschieht das in der Luftschutzkeller-Galerie im Haus der Kunst sowie im Kunstverein München, die im Fall der Ausstellung „Tony Cokes. Fragment, or just Moments“ zusammenarbeiten. Das haben die beiden Institutionen bisher relativ selten getan, obwohl sie geografisch nahe beieinanderliegen und auch historisch miteinander verknüpft sind. Vor 85 Jahren fand im Haus der Kunst die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ statt und parallel dazu die Ausstellung „Entartete Kunst“ in den Räumen des heutigen Kunstvereins. Während die eine die „wahre“, deutsche Nazi-Kunst feierte, wurden in der anderen expressionistische oder dadaistische Werke als „primitive Kritzeleien“ diffamiert.

Genau diesen Bezug greift Cokes in der mehrteiligen Arbeit „Some Munich Moments, 1937-1972“ auf, welche die beiden Kunsthäuser für diese erste institutionelle Einzelausstellung des Amerikaners in Deutschland in Auftrag gegeben haben. Das andere Ende wird durch die Olympischen Spiele in München 1972 markiert, deren 50. Jubiläum die Stadt in diesem Jahr groß feiert. Die Spiele standen für ein neues, weltoffenes München, für dessen Image der vor hundert Jahren geborene Designer Otl Aicher zuständig war. Seine dafür ausgesuchten Farben bilden auch bei „Some Munich Moments“ den Hintergrund. Sie tauchen in den drei Videoessays auf, von denen zwei im Kunstverein zu sehen sind sowie auf Plakaten in der Fußgängerpassage zwischen den Häusern. Eine weitere Arbeit am Zaun des US-Konsulats soll folgen.

Das Bildmaterial der ersten Video-Version im Haus der Kunst stammt von der Eröffnung der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im Juli 1937 sowie von der Ausstellung „Entartete Kunst“. Die Aufnahmen hat der US-Dokumentarist Julien Bryan gemacht. Hinzu kommen Aufnahmen vom kriegszerstörten München, die im Juni 1945 entstanden. Als weiterer Kontrast werden Textpassagen aus Alexander Negrellis Buch „Kommando Otl Aicher“ eingeblendet, welche die damalige Vision eines neuen München ausbuchstabieren. Während die NS- und Kriegsbilder mit Musik der Youtube-Playlist „German Underground Techno – Dark & Hard“ des DJs Fear N Loathing unterlegt sind, ist zu den Texten über Aicher der 1977 in München aufgenommene Disco-Hit „I Feel Love“ von Donna Summer zu hören. Wie auch bei den anderen Arbeiten wird einem die Musik per Kopfhörer zugesteuert. Ansonsten läuft in der Luftschutzkeller-Galerie Technomusik.

Texte, meist Zitate, Farbe und Musik in Videos zusammenzubringen, das ist das künstlerische Grundprinzip von Cokes, der, wie er sagt, „einfache Systeme“ liebt. Sein Ziel: Das Denken in Bewegung bringen. Was ihm im Fall von „Some Munich Moments“ gelingt. Auch wenn man am Ende vielleicht nichts wirklich Neues erfährt. Andere Themen, die Cokes in den ausgestellten Arbeiten verhandelt, sind Black Empowerment, der Irak-Krieg oder Donald Trump. Dazu kann man zur Musik von Morrissey oder den Pet Shop Boys wippen. Die Vorbilder von Cokes stammen aus der Werbung, Musik und Bildenden Kunst. Ein wichtiges wird in der frühen Arbeit „Ad Vice“ von 1999 genannt: „Television Delivers People“, ein Videoklassiker aus dem Jahr 1973 von Richard Serra und Carlota Fay Schoolman, die darin in weißer Schrift auf blauem Hintergrund und zu Fahrstuhlmusik die Massenmedien kritisieren. Das wirkt wie eine Blaupause zu Cokes’ Kunst, wobei er die Low-Budget-Ästhetik um moderne Sampling-Methoden erweitert. Ansonsten setzt der in Providence lebende Künstler auf das (öffentliche) Lesen und dessen aufklärerische Wirkung. Und wer ausreichend Zeit und Ausdauer mitbringt, kann in diesem musikalischen Geschichtsseminar viel lernen.