Fujiko Nakaya, Nebel Leben: Tröpfcheninstallation

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2022, Foto: Marion Vogel
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29. Juni 2022
Text: Jürgen Moises

Fujiko Nakaya: Nebel Leben.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 2, München.
Mittwoch bis Montag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 31. Juli 2022.
www.hausderkunst.de

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2022, Foto: Andrea Rossetti
Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2022, Foto: Andrea Rossetti

Am Anfang war der Nebel. Zumindest haben sich die Griechen das so vorgestellt. Für sie war er das urzeitliche Element, aus dem sich alles andere hervor schälte. Ihn ebenso wie Schnee oder Regen herzustellen war später Jahrtausende lang Göttersache. Dass auch der Mensch diese Elemente produziert, war unvorstellbar. Nun, ein japanischer Wissenschaftler und seine Tochter haben genau das gemacht. Der Physiker Ukichirō Nakaya stellte 1936 den ersten künstlichen Schneekristall der Welt her. Fujiko Nakaya hat 25 Jahre später die erste Nebelskulptur aus reinem Wasser entwickelt. Heute ist Fujiko Nakaya 89 Jahre alt und in der Kunst eine einflussreiche, in Europa aber nur bedingt bekannte Größe. Das Haus der Kunst zeigt aktuell mit „Nebel Leben“ ihre erste Werkschau außerhalb von Japan. Auch die Arbeit ihres Vaters wird in der beeindruckenden Ausstellung gewürdigt, die der Leiter des Hauses Andrea Lissoni zusammen mit Sarah Johanna Theurer kuratiert hat. Sie steht für das von Lissoni ausgerufene Programm, auf fluide, performative und interaktive Kunstformen zu setzen.

Der Nebel steht hier ebenfalls am Anfang. Das heißt, er fällt herunter von oben von unter dem Dach. Genau genommen ist es ultrafein zerstäubtes Wasser, das aus mit mikroskopisch kleinen Stiften versehenen Düsen spritzt. Das passiert an der Ostseite des Hauses, wo erstmals für eine Ausstellung zwei Türen zum Englischen Garten hin geöffnet sind. Hierüber kann man alternativ zum Haupteingang mit Karte die Räume betreten, wo man auf Nakayas Video „Soji-ji“ trifft. Die Arbeit ist 1979 im gleichnamigen Kloster in Yokohama entstanden und zeigt Mönche bei ihrer morgendlichen Praxis des Sutra-Lesens. Einen Raum weiter, im riesigen Mittelsaal, wartet dann der eigentliche Wow-Effekt: Ein blau schimmerndes, von einem Holzsteg umgebenes, großes Wasserbecken. Alle paar Minuten steigt hier Nebel auf und formt sich, begleitet von ätherischen Klängen, zu einer faszinierenden, sich verändernden Skulptur, die sich schließlich in Richtung Außentüren verflüchtigt. „Munich Fog (Wave), #10865/I“ heißt die Installation. Wobei sich die Zahlenkombination auf die nächstgelegene Wetterstation bezieht. Um diesen „Münchner Nebel“ herum ist die Ausstellung gruppiert. Mit „Square Fog“ von 1981 ist eine weitere, rekonstruierte Nebel-Installation zu sehen. Andere ihrer mehr als 90 Nebel-Arbeiten sind durch Videos oder Texte dokumentiert. Wobei die Zahl der Bilddokumente sehr rar ist. Es gibt Gemälde aus den Fünfzigern und Sechzigern, die mit ihren surrealistischen oder molluskenhaften Formen den Weg zum „Naturstoff“ Nebel bereits andeuten. Man sieht Videos wie „Static of the Egg“ (1974), in der Nakaya versucht, ein Ei zu balancieren, oder „Pond“ (1976), wo man mittels Überblendung und Video-Feedback sein Gesicht im virtuellen Wasser sieht. Werke, die an Bill Viola erinnern, mit dem Nakaya befreundet ist. Videos vom ihm, Nam June Paik und anderen hat sie in ihrer 1980 in Harajuku gegründeten Videogalerie gezeigt. Im Jahr 1987 rief sie das Japan International Video Television Festival in Tokio ins Leben.

In den 1950ern hatte Nakaya das Privileg, in den USA, Paris und Madrid Kunst zu studieren, wo sie unter anderem Andy Warhol kennenlernte. 1966 trat sie der Gruppe E.A.T. um Robert Rauschenberg bei, in den Siebzigern wurde sie von der aufkeimenden Umweltbewegung inspiriert. Die Studien ihres Vaters sind im ersten Stock dokumentiert. Man sieht Reproduktionen von Eiskristall-Aufnahmen und Wissenschaftsfilme, die für Iwanami Productions entstanden. Ukichirō Nakaya hatte das Studio 1950 gegründet, das mit seinen experimentellen Filmen das japanische Kino der Fünfziger beeinflusst hat. Und man geht sicher nicht ganz fehl, die künstlerische Arbeit seiner Tochter als die Fortsetzung seiner Naturstudien mit anderen Mitteln zu verstehen. Genauso hat Fujiko Nakaya wiederum andere wie Carsten Nicolai oder das japanische Medienkunst-Kollektiv Dumb Type geprägt. Von Dumb Type läuft im Haus bereits eine höchst sehenswerte Ausstellung, seit Anfang Juni ist eine Installation von Nicolai zu sehen. Und „Nebel Leben“? Hat sich zu einem kleinen Blockbuster entwickelt. Der Nebel, er verfügt noch immer über seine urzeitliche Kraft.