Geometrische Opulenz: Aus der Ordnung geboren, mit Hang zur Verschwendung

Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Nathalie Du Pasquier, Foto: Stefan Altenburger
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27. April 2022
Text: Annette Hoffmann

Geometrische Opulenz.
Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 8. Mai 2022.
www.hauskonstruktiv.ch

Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Claudia Comte (r.), Foto: Stefan Altenburger
Geometrische Opulenz, Museum Haus Konstruktiv, 2022, Ausstellungsansicht mit Arbeiten von John Armleder, Foto: Stefan Altenburger

Ein Ei, terrakottafarben auf hellem Grund. Eine perfektere Form lässt sich kaum denken. Sie ist widerständig, ebenmäßig und es ist alles enthalten. Doch warum fragen wir uns eigentlich, was zuerst da war das Ei oder die Henne? So als ob die Tierwelt nicht glamourösere Vögel hervorgebracht hätte als ausgerechnet das Huhn. Wäre John Armleders Arbeit „Apparences confuses“ aus dem Ei geschlüpft, das an der Stirnseite im ersten Stock des Museum Haus Konstruktiv hängt, es stammte mindestens von einem Pfau. Wenn nicht gar von einem Hahn – Ausstellungen mit dem Titel „Geometrische Opulenz“ laden zu einer gewissen Lockerheit im Denken ein. Schließlich bringen sie zusammen, was vermeintlich nicht zusammengehört – jedenfalls, wenn man die Geometrie streng auslegt. Doch John Armleder (*1948) demonstriert, dass sich beides gut verträgt. „Apparences confuses“ aus dem Jahr 2014 besteht aus sechs Leinwänden, die durch irisierende Lamettavorhänge voneinander getrennt sind. Es glittert und glimmert in changierenden Farben, auf manchen Leinwänden sind Muscheln aufgeklebt, dann Plastikeidechsen, auf anderen sind Pingpongbälle und Schwämme zu entdecken. Es sieht ein bisschen so aus als würde die Opulenz aus dem Trash geboren und als ob zugleich jene Kräfte, die die Welt hervorgebracht hat, auch hier walteten.

„Geometrische Opulenz“ gibt den acht Positionen Raum, manchmal als Soloauftritt, manchmal in der Gegenüberstellung. Darüber hinaus ist die Ausstellung programmatisch zu verstehen. Konkrete oder konstruktive Kunst, die nicht selten auf der Geometrie beruht, muss nicht nüchtern und streng sein, nicht einmal in Zürich. Eine solche Schau bestärkt und führt vor, wie an diesem Museum konstruktive Kunst verstanden wird, als sehr zeitgenössisch. Und so ist Claudia Comtes raumgreifende Installation die erste Begegnung in dieser Ausstellung. Comte (*1983) übernimmt die Bewegung von Schlangen im Sand einerseits durch die Form der Wand, andererseits durch die aufgetragenen Linien. „Heads and Tails“ sind Arbeiten in der amerikanischen Wüste vorangegangen. Die schlangenförmigen Bewegungen wirken wie ein Camouflagemuster.

Mit solchen hat sich auch Timo Nasseri (*1972) auseinander gesetzt. In Acryl auf Leinwand hat er Razzle-dazzle-Muster gemalt, mit denen im Ersten Weltkrieg Schiffe vor einer eindeutigen Lokalisierung und den feindlichen Bomben geschützt wurden. Nasseri hat sie an einer Symmetrieachse ausgerichtet und ihre Form so geklärt, dass ihr Ursprung in ethnografischer Kunst oder grotesken Insekten offensichtlich wird. In den beiden angrenzenden Räumen sind Arbeiten von Franziska Furter (*1972) zu sehen. Furter und Nasseri verbinden gemeinsame Ausstellungen und Kollaborationen. Franziska Furters Installation „Atoms of Delight“ spannt sich wie ein Netz in den Raum. Meterlange aufgefädelte silberne Perlenstränge sind an manchen Stellen zu Verschlingungen erweitert, so dass aus der Linie eine durchlässige Skulptur geworden ist, die sich in Zürich von einer petrolfarbenen Wand abhebt.

Überhaupt der Raum: Nathalie Du Pasquier (*1957) entwickelt auf der Grundform der Box eine Architektur, die den Raum selbst verschachtelt. Ihre Installation kann ihre Tätigkeit für die Designgruppe Memphis in den 1980er Jahren nicht ganz verleugnen, ist aber auch vom russischen Konstruktivismus und modernistischer Architektur beeinflusst. Du Pasquier hat Bilder gemalt, die wie flächige Entsprechungen der Modelle wirken, die sie nun in Einbauten und vor farbigen Wänden präsentiert. Wie Franziska Furter interessiert auch Nathalie Du Pasquier das Wechselspiel von Zwei- und Dreidimensionalität. Und bei Sylvie Fleury (*1961) schließlich nivelliert der veränderte Maßstab den Glamour der Lidschattennäpfe. Sie sehen nun aus wie industriell hergestellte Verpackungen.