BioMedien. Das Zeitalter der Medien mit lebensähnlichem Verhalten.
ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 28. August 2022.
www.zkm.de
Der Weg in die Zukunft ist mühevoll. Vor allem in diesen Tagen, wo es überall an allem fehlt. Kein Holz für die Bauwirtschaft, keine Halbleiter für die Autoindustrie, zu wenig Transportkapazitäten für zu viel Material – was aber nicht allein an der Infektionswut von Omikron liegen muss, sondern vielleicht auch an der Übergröße der Ideen, die uns einfallen, wenn wir an die Welt von morgen denken. Das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe ist ein Ort, an dem große Ideen auf fruchtbaren Boden fallen.
Entsprechend präsentieren sich die Ausstellungen hier gerne weitläufig und verschachtelt wie endlose Stollensysteme, von Kurator:innen mit Pioniergeist in den Berg der Erkenntnis gehauen. So auch das jüngste Projekt des Hauses, mit dem unter dem Titel „BioMedien“ rund 60 Kuntstschaffende das Verhältnis von Lebewesen und Maschine im 21. Jahrhundert erkunden. Eröffnet wurde die Schau virtuell – was den Beschränkungen der Pandemie ebenso geschuldet war wie dem Thema der Ausstellung. Die Einführung hielt per Video-Livestream folgerichtig kein Mensch, sondern eine KI-gestützte, vor farblich changierendem Fond pulsierende Entität im Look eines vor sich hin schmatzenden Kaugummis. Das Datenwesen, das vom Berliner Kollektiv Quadrature programmiert wurde, ist auch in der realen Ausstellung auf einem Screen präsent und rezitiert dort den abwesenden ZKM-Direktor Peter Weibel: „Wer oder was definiert heute, was lebendig ist, wenn Intelligenz und Empathie nicht mehr allein an Menschen gebunden ist?“ Es geht also um Kunst über Maschinen, die menschliche, tierische oder pflanzliche Fähigkeiten nachbilden oder die Prozesse des Lebens simulieren, um sie zu optimieren oder nutzbar zu machen für den Alltag.
Ein geläufiges Beispiel dafür ist der humanoide Roboter, dem die Ausstellung ein eigenes Kapitel widmet. In einer anrührenden Videoarbeit erzählt Yves Gellie hier von der Begegnung der Bewohnerinnen eines Altenheims mit einem Vertreter dieser Spezies. Sie machen ihre Morgengymnastik mit dem Plastikmännchen, lassen sich von ihm zu Erzählungen animieren oder sitzen einfach nur stumm vor der Maschine und beobachten ratlos, wie die Technik damit kämpft, ihr Gegenüber zu einer Reaktion zu bewegen. Dass ein Roboter Mitgefühl wecken kann, macht ihn zum Partner in der Pflege – auch wenn die Empathie weniger der Maschine gelten dürfte als der Fiktion des fühlenden Wesens, das sie verkörpert. Wie schwer beides heute auseinanderzuhalten ist, führt die finnische Fotografin Maija Tammi vor mit ihren Porträts von hyperrealistisch modellierten Humanrobotern auf dem letzten Stand der Materialforschung und ganz realen Personen.
Was aber erkennt ein Roboter, wenn er sich selbst im Spiegel sieht? Zahllose Antworten darauf hat Christian Mio Loclairs Installation „Narciss“ – von „Ich bin ein Stapel Bücher“ bis zu „Ich bin eine Mikrowelle, die auf einem Kühlschrank steht“ – und lässt zugleich erahnen, welche Schwierigkeiten computerbasierte Systeme, die Leben simulieren, trotz ihrer Intelligenz mit Fragen der Identität haben. Darum ringt auch Bina48, ein von texanischen Wissenschaftler:innen entwickelter Roboter mit weiblichen Zügen, der hier von der afroamerikanischen Künstlerin Stephanie Dinkins in eine Diskussion über Hautfarbe und Geschlecht verstrickt wird.
Nicht zufällig löst sich das rechnerisch so schwer fassbare Konzept des Individuums mit all seinen Grillen und Macken in der Karlsruher Schau deshalb regelmäßig in unterschiedliche Modelle von Schwarmexistenz auf. Mal sind es Günter Weselers historische „New Species“ von 1970, als atmende Fellbüschel an den Wänden lauernd, dann wieder ist es eine lebhafte Kleinrobotermeute von Katrin Hochschuh und Adam Donovan, die einem auf Schritt und Tritt folgt wie ein Haufen neugieriger Leuchtkäfer. Am überzeugendsten gelingt die technische Simulation von Leben vor allem dort, wo sie ein Eintauchen in dynamische Systeme ermöglicht und dabei mit Schönheit nicht geizt. Justine Emards „Supraorganism“ aus mundgeblasenen Glasskulpturen etwa wird von einer Künstlichen Intelligenz belebt und reagiert mit Licht und Sound derart sensibel auf die Anwesenheit von Menschen, dass man kaum glauben kann, es hier mit einem Algorithmus zu tun zu haben. Pure Poesie bietet auch die Installation „PL’AI“, in der die slowenische Künstlerin Špela Petric einen KI-Roboter mit lebenden Gurkenpflanzen Ball spielen lässt – im ultra-langsamen Tempo ihres Wachstums. Vor lauter Gegenwart könnte man hier fast vergessen, dass „BioMedien“ im Vorzimmer der Zukunft spielt.