Mit den Füßen sehen. Der Teppich in der zeitgenössischen Kunst: zwischen Orient und Okzident

Lucy Ann Guth, In Flux, 2021, © Lucy Ann Guth
Review > Burgrieden > Museum Villa Rot
1. April 2022
Text: Florian L. Arnold

Mit den Füßen sehen. Der Teppich in der zeitgenössischen Kunst.
Museum Villa Rot, Schlossweg 2, Burgrieden-Rot.
Mittwoch bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 25. Mai 2022.
www.villa-rot.de

Littlewhitehead, When will it end? #2, 2022, Courtesy Littlewhitehead und Nir Altman Galerie, München, © Dirk Tacke
Debbie Lawson, Ozymandias, King of Kings, 2022, © Debbie Lawson
Evinde Hissetmek,To Feel at Home, 2019, Courtesy the artist

Wir treten ihn im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen und auf seine ästhetischen Qualitäten hin wird er eher beiläufig betrachtet. Was aber im Teppich alles an Kunst stecken kann, zeigt die sehenswerte Schau „Mit den Füßen sehen“ im Museum Villa Rot. Schon im Entrée zieht ein 2,44 Meter hoher Bär von Debbie Lawson (*1966) den Blick an: Ein vollkommen in einen Teppich gehülltes Monstrum, das in bedrohlicher Pose dennoch zum Streicheln verführt. Da gehen ambivalente Eindrücke Hand in Hand. Die Weichheit des Materials konterkariert die aggressive Haltung des Dargestellten, die Stofflichkeit das Bedrohliche. In dieser oder ähnlicher Weise spielen viele Positionen mit der Erwartung, und nicht selten löst sich die Begegnung mit dem Kunstwerk in einem Lächeln auf. So etwa in der Arbeit des Aserbaidschaners Faig Ahmed (*1982). Über einem relativ gewöhnlichen orientalischen Wandteppich schwebt ein leuchtend grünes Polygonband. Eine perfekte optische Illusion: Das Band wurde mit dem Teppich zusammen in klassischer Handwerkskunst gewebt. Eine subtile ironische Brechung der bei uns als „Perserteppich“ summierten Auslegeware. Auch die gebürtige Iranerin Farkhondeh Shahroudi (*1962) bietet solche Brechungen; eine große Zwille lehnt in einer Raumecke. Zusammen mit den aus Teppichresten zu Wurfgeschossen gebundenen Kugeln, die verstreut auf dem Boden liegen, erhält man ein Werkzeug zivilen Widerstands. Dieses paart sie mit „Non-Flags“, also Flaggen aus Teppichüberbleibseln. Eine schöne Idee für Friedensaktivisten. Vollends weltpolitisch wird es beim „Roten Teppich“ im Treppenhaus – der hier aber in einer Vitrine steckt, zusammengerollt, seit langem in Rente. Ja, es sei DER Teppich, auf dem Größen wie John F. Kennedy und die Queen das Rollfeld des Flughafens Köln-Bonn und damit deutschen Boden betraten. So jedenfalls versichert es der Leihgeber, das Haus der Geschichte, dem kuratierenden Museumsleiter Thomas Schmäschke.

Das Aufeinandertreffen, mitunter auch Crashen von Orient und Okzident zeigt das Objekt des türkischen Künstlers Ramazan Can (*1988). „Evinde Hissetmek, To Feel at Home“ ergänzt einen abgewetzten alten Orientteppich mit Neonröhren, die dessen Ornamentik stilisiert aufnehmen. Treffender können Tradition und Moderne sich kaum verschränken. Und wie geistreich ein Balkonraum im Obergeschoss vom britischen Duo „Littlewhitehead“ zum Swimming Pool gemacht wird, sollte man nicht verpassen: Ein „Perser“, nahezu raumfüllend, und (nur) die metallenen Einstiegshilfen an zwei Seiten. Mehr braucht es nicht, um uns die Illusion eines Schwimmbeckens zu geben, zugleich die Vorstellungen von Luxus zu ironisieren, zu denen ja einst auch der teure Perserteppich gehörte. Der aber auch als billiger Ersatz für Leinwand herhalten kann. In der großzügig dimensionierten Kunsthalle verblüffen die Arbeiten der Wienerin Noémi Kiss (*1974). Statt auf Leinwänden malt sie auf alte Orientteppiche. Und das ist erstaunliche Illusionsmalerei mit Verweisen ins Skulpturale: Mit Acrylfarben malt sie – in vielen Arbeitsschichten – Falten ins Gewebe oder läßt riesige weiße Flecken über ihm schweben. In anderen Arbeiten wird zusätzlich zur malerischen Behandlung etwas ausgeschnitten – oder abgerissen. Etwas Besseres als diese clevere Kunst kann einem alten Teppich nicht passieren. Zugleich ist diese Form des künstlerischen Upcyclings Botschafter wichtiger Themen der Gegenwart: Ressourcenschonung und Wiederverwertung. Der Weg Richtung Ausgang führt über Dämonen: die Auslegeware von Zusanna Czebatul (*1986) im Hoenes-Saal zeigt Motive aus Martin Schongauers Monstersammlungen: „Des Wahnsinns schöne Kinder“. Denen möchte man wirklich nicht barfuß begegnen.

„Mit den Füßen sehen“ zeigt eine große Vielfalt künstlerischer Positionen. Der sehr schöne Ausstellungskatalog ist übrigens stilecht mit einem eigens hergestellten Stück Teppich beklebt. Ob man diesen einmaligen Einband streicheln oder mit Füßen treten möchte, sei jedem selbst überlassen.