Pedro Wirz: Environmental Hangover.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.30 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 1. Mai 2022.
www.kunsthallebasel.ch
Jede gute Geschichte braucht einen überzeugenden Anfang. Das weiß auch Pedro Wirz. Deshalb beginnt der schweizerisch-brasilianische Künstler seine Soloschau in der Kunsthalle Basel mit einem kleinen Affront. Bevor es also richtig losgeht, muss man sich erstmal an einer riesigen, schwarzbraunen Kugel vorbei zwängen, die den Eingang versperrt. Das Ding, gut drei Meter im Durchmesser, weckt in Farbe und Textur Assoziationen an die Kotkugeln, die Pillendreher nach der Paarung aus zusammengesuchten Exkrementen andere Tiere durch die Gegend rollen und dann irgendwo im Boden vergraben, damit sich die Larven davon ernähren können. Wirz’ Ausstellung „Environmental Hangover“ („Umwelt-Kater“) beginnt also dort, wo nach einer vereinfachenden Interpretation der Verwertungslogik des Kapitalismus alles aufhört: auf dem Müll, in der Kloake. Da ist es gut, dass die Türen der Kunsthalle so schmal sind, sonst würde der Dreck von hier aus womöglich durch die Stadt rollen. So zieht er nur eine dunkle Spur aus mit Bitumen verklebten Kleidungsstücken durch den ersten Saal, die den Streckenverlauf der Transamazônica abbilden, einer 4000 Kilometer langen Fernstraße, die in den 1970er Jahren von der Militärdiktatur Brasiliens in den Regenwald geschlagen wurde, unter anderem um die Ausbeutung von Bodenschätzen in großem Stil zu ermöglichen – mit massiven Folgen für Flora, Fauna und die Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung. Noch heute ist die Straße nicht fertig, irgendwann soll sie in Peru in die Panaméricana münden und so den Exportweg nach Asien verkürzen. Brasilien gilt, nach China, als das Land mit den weltweit zweithöchsten Vorkommen von Seltenen Erden.
Pedro Wirz spielt auf diesen Zusammenhang in einer Serie von fünf paradiesvogelbunten Wandobjekten in der Form überdimensionaler Smartphones an, aus denen unzählige Reptilienaugen schauen wie Wiedergänger aus der Zukunft einer vom Mensch zerstörten Natur. Auch die großen, kokonartigen Skulpturen an den Wänden des nächsten Raumes lassen einen im Unklaren darüber, ob die Wesen, die hier bald schlüpfen, es wohl gut mit uns meinen werden. Geht es nach Pedro Wirz, stehen die Karten dafür nicht schlecht. Der 40-Jährige ist kein Pessimist. Im Gegenteil. Er glaubt an die Möglichkeit einer Versöhnung von Natur und technischem Fortschritt. Als Sohn eines Agrarwissenschaftlers und einer Biologin wuchs Pedro Wirz im tropischen Vale do Paraíba westlich von Rio de Janeiro auf. Bevor er sich entschloss, zum Kunststudium nach Basel zu ziehen, arbeitete er für die Kommunikationsabteilung einer Giftmülldeponie. Auch in seiner Soloschau ist Müll immer wieder zentral. Eine Ruinenarchitektur aus mit alten Spielzeugautos verbackenen Ziegeln etwa thematisiert die selbstzerstörerische Naivität einer Menschheit, die nach wie vor auf lineare Wirtschaft setzt und sich um die unausweichlichen Folgen wie Bodenverseuchung, Erderwärmung oder Artensterben kaum Gedanken macht. Wirz reagiert darauf mit bizarrem Humor. Wie geköpfte Trophäen aus dem Krieg, den der Mensch gegen seine eigenen Lebensgrundlagen führt, hängen so im Vorraum zum letzten Saal bunte Körperfragmente eines Delphins, einer Meerjungfrau oder des einbeinigen Kobolds Saci, der in der brasilianischen Mythologie unentschieden zwischen Gut und Böse hin- und herspringt. Am Ende des Parcours wartet schließlich der Amazonas-Waldgeist Curupira. Oberkörper und Unterkörper der Figur weisen in entgegengesetzte Richtungen. Wer ihr folgt, entfernt sich von ihr, wer vor ihr flieht, läuft ihr direkt in die Arme. Pedro Wirz hat diese Gestalt aus organischen Abfällen und einer von Wissenschaftler:innen am KIT Karlsruhe gezüchteten Pilzkultur modelliert, die künftig Beton ersetzen soll. Statt eines Kopfes wuchert ihr ein Baum aus dem Hals, dessen Stamm sich durch die Decke bohrt und über dem Oberlicht zur Laubkrone verzweigt, begierig die Energie der Sonne anzapfend. Kein Wunder eigentlich, dass man sich am Ende dieses gut gelaunten Plädoyers für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft plötzlich selbst als Teil eines sehr großen Organismus wähnt.