Michaela Tröscher, The Icelandic Pianist: The Immigration

Michaela Tröscher, The Immigration, 2018 fortlaufend, Ausstellungsansicht Kunsthaus L6, Freiburg, 2022, Courtesy the artist
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4. März 2022
Text: Annette Hoffmann

Michaela Troescher, The Icelandic Pianist: The Immigration.
Kunsthaus L6, Lameystr. 6, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 16.00. bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 13. März 2022.
www.freiburg.de

Dass Böhmen am Meer liegt und dass man mit einem Stadtplan von Groß-London den Harz durchwandern kann, ist zum festen Bestandteil einer Topografie des Möglichen geworden. Doch Michaela Tröschers Karte von Zentraleuropa, auf der Städte wie Freiburg, Basel und Bonn mit New York, Montreal und Toronto überschrieben sind, zielt nicht darauf, sich zu verlieren. In ihrer Arbeit „Eine gewöhnliche Landkarte“ sind Wege eingezeichnet, die schnell zum Ziel führen sollen. Vom Schwarzwald zum Überseehafen und von dort geht ein Strahl über die Grenze des Kontinents hinaus.

Die Arbeiten von Michaela Tröscher (*1974) befassen sich mit Mobilität und Bewegung, man könnte auch Immigration sagen, doch anders noch als bei Alexander Kluge und den Situationisten ist das Ziel bekannt, es führt weg von der Heimat in ein Land, in dem man sein Glück machen kann. Die biografische Topografie von Michaela Tröscher ist einerseits die ihres Großonkels, der sich kurz vor dem Ersten Weltkrieg  in Bremerhaven nach Amerika einschiffte, dort als Koch und später als Dozent Karriere machte und eine Familie gründete. Andererseits kreuzte sich diese Flucht aus beengten Schwarzwälder Verhältnissen mit Tröschers Stipendienaufenthalt auf Island. Dreieinhalb Jahre sollte sie dort leben, die Sprache lernen und in den Auswandererromanen von Bödvar Gudmundsson einen Spiegel finden für die Immigration und das bäuerliche Leben – Tröscher wuchs auf einem Hof in Hinterzarten auf. Diese Romane und ihre Familiengeschichte bilden ein Narrativ, das sich verdichtet und unendlich fortgesetzt werden kann. Zumal die Künstlerin selbst darin für sich die Rolle des Icelandic Pianist geschaffen hat. Auch in ihrer Freiburger Ausstellung spielt sie zu festen Zeiten.

Im Kunsthaus L6 sind selbst ihre Skulpturen mobil, sie stehen wie Möbel, bereit für einen Umzug, auf Brettern mit Rollen. Ein blauer Spanngurt verschnürt einen Betonblock mit mehreren Stoffschichten und einem Packen Ästen, von denen einer weiß bemalt ist. Tröscher schichtet in ihren Arbeiten, seien es Abgüsse auf einem Tisch oder mehrere Objekte auf einer Art Podest. Sie schafft dadurch eine Gleichzeitigkeit, die es ihr erlaubt, die Orte zu vereinen. Dies zeigt sich vor allem in ihren Collagen, für die sie alte Postkarten gesammelt hat. Das Format behält sie, aber verbindet etwa einen historischen Bahnhofswarteraum mit der Ankunftshalle von Ellis Island und der Aufnahme einer Frau am Klavier. Und der Kunstverein Freiburg mit seiner charakteristischen Fassade liegt an einem weitaus größeren Fluss als die Dreisam, der zudem von zwei U-Bahn-Röhren untergraben ist. Von „Eine gewöhnliche Landkarte“, die eingangs im L6 hängt, gehen gleich zwei Serien von Zeichnungen ab, die in den letzten beiden Jahren entstanden sind. „New York’s Interior“ und „The Drawn New York“ erzählen wie Bildergeschichten von einem räumlichen und zeitlichen Kontinuum über Orte und Zeiten hinweg.