Lauter eigene Chef:innen – Entrepreneurship in der Kunst

Maria Pomiansky, Autoportait im Atelier, 2020, Öl Auf Leinwand, Courtesy the artist
Review > Riehen > Kunst Raum Riehen
10. Februar 2022
Text: Dietrich Roeschmann

Entrepreneurship – oder die Verheissung des brotlosen Glücks.
Kunst Raum Riehen, Baselstr. 71, Riehen.
www.kunstraumriehen.ch
26. Februar bis 18. April 2022.

Fabio Luks
Milva Stutz
Beni Bischof
Vera Trachsel
Johannes Hedinger
Maria Pomiansky
Lysann König
David Berweger
San Keller
Mickry3
Olivia Hernaïz

San Keller, Christine Streuli, 30.06.2010, Berlin, aus der Seire CUCKOO (AT WORK), 2008–2010, Pigment-Print auf Hahnemühle-Papier, 50x60cm, Courtesy Julius Baer Art Collection
Lysann König, Survival of an Artist, Videostill, 2018, Courtesy the artist
Milva Stutz, For Real, for Real, for Real this Time, Videostill, 2021, Courtesy the artist
David Berweger, aus der Serie „B-Sides“, 2020, Courtesy the artist
Vera Trachsel, WIR SIND MÜDE BLUMEN, Schaumstoff, Acryl, 2021, Courtesy the artist

Der Basler Künstler Fabio Luks (*1982) hat für den Kunst Raum Riehen eine Ausstellung über einen wichtigen, aber oft vernachlässigten Aspekt des Kunstschaffens kuratiert: das Selbst- und Fremdbild von Kunstschaffenden als Entrepreneur:innen. Wir haben ihn nach seiner Motivation gefragt, nach den beteiligten Künstler:innen und nach den produktiven und den problematischen Wirkungen des Verhältnisses von künstlerischer Praxis und Unternehmertum.

artline: Fabio Luks, Sie richten in der Ausstellung „Entrepreneurship“ im Kunst Raum Riehen den Blick auf die unternehmerische Seite des Kunstschaffens. Warum?
Fabio Luks: Die Idee zu dieser Ausstellung kam mir durch das vermehrte Auftauchen dieser Verbindung von Künstlerdasein und Unternehmertum in den Medien und in Publikationen. Es gibt Stimmen, welche die Künstler:innen auffordern: „Seid Unternehmerinnen!“ Angesichts zunehmender Professionalisierung gleicht der Einstieg ins Künstler:innenleben immer mehr der Gründung eines Start-Ups. Es geht darum, sich ein Netzwerk aufzubauen, eine künstlerische Marke mit innovativen und nachhaltigen Ideen zu kreieren und sich in den sozialen Medien und im Internet zu vermarkten. Auf der anderen Seite stehen Künstler:innen, denen dieses Unternehmertum zuwider ist, die sich nur ihrer Kunst widmen wollen, bewusst nebenher einem Broterwerb nachgehen und „brotlos“ glücklich sind. Dazwischen gibt es viele Abstufungen. Ich finde interessant, was hier gerade in Bewegung ist.

Die Aussichten, in Europa von Kunstproduktion gut leben zu können, waren noch nie sonderlich gut. Warum sind Sie Künstler geworden?
Luks: Ich bin in einem kunstaffinen Haushalt aufgewachsen und früh mit Künstler:innen in Kontakt gekommen. Heute weiss ich, dass ich in keinem anderen Berufsfeld so viele meiner Interessen abdecken kann. Ich glaube an die Wichtigkeit der Kunst und an ihre Fähigkeit, unseren Blick auf die Dinge zu schärfen oder auch zu verändern. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir als Kunstschaffende Themen wie Geld und Einkommen in der Kunst diskutieren.

Leben Sie ausschließlich von der Kunst?
Luks: Schön wär’s. Letztes Jahr habe ich ungefähr 10% meiner Einnahmen durch die Kunst erwirtschaftet.

Wie geht es dem Gros der Kunstschaffenden in der Schweiz finanziell? Hat sich ihre Lage durch Corona verändert?
Luks: Die wenigsten können von ihrer Kunst leben und wenn ja, dann meistens sehr bescheiden. Gemäss einer Studie von Suisse Culture Sociale ist der Prozentsatz von Kunstschaffenden die 40.000 Franken oder weniger im Jahr verdienen von 50% (2016) auf 60% (2021) gestiegen, wobei die Studie nicht aufschlüsselt, ob das Einkommen allein durch Kunst oder durch Kunst und Nebenjobs erwirtschaftet wurde. Damit gehört die Mehrheit der Künstler:innen in der Schweiz zu den am schlechtesten Verdienenden im Land. Im internationalen Vergleich geht es uns Künstler:innen in der Schweiz immer noch sehr gut. Trotzdem ist es doch erstaunlich, dass ein so reiches Land wie die Schweiz keine besseren Strukturen für berufstätige Künstler:innen geschaffen hat, wo zum Beispiel Erwerbsausfälle auch ausserhalb einer Coronakrise ausgeglichen werden.

Wie wichtig ist der institutionalisierte Kunstmarkt der Galerien für Kunstschaffende in der Schweiz, wieviele sind tatsächlich Teil davon?
Luks: Für die wenigen Schweizer Künstlerinnen, welche tatsächlich Teil davon sind, ist dieser Kunstmarkt sicher wichtig, da die Galerien Kontakte zu Sammler:innen herstellen und die Bekanntheit und den Wert steigern. Wie viele genau von einer Galerie vertreten werden, kann ich nicht sagen. Durch die massiven Schliessungen von etwa 50 Galerien in der Schweiz seit 2018 – bei einem Total von um die 120 professionell arbeitenden Galerien – ist aber davon auszugehen, dass es sehr wenige sind.

Künstler:innen werden gerne als Einzelunternehmer:innen gesehen. Was genau zeichnet sie als solche aus? Wie sieht das Geschäftsmodell aus?
Luks: Künstlerische Unternehmer:innen zeichnet aus, dass sie es schaffen, als Künstler:innen aktiv zu bleiben, ohne in den meisten Fällen wirklich von der Kunstproduktion leben zu können. Auch dass sie über Nebenerwerbe, die Organisation von eigenen Ausstellungsprojekten, dem Betreiben von Off-Spaces, der Produktion von Magazinen und öffentlichen Aufträgen und vielem mehr über die Runden kommen und die Hoffnung für die Kunst nicht aufgeben. Das Geschäftsmodell der Künstler:innen ist das Herstellen von Sichtbarkeit für die eigene Arbeit und natürlich auch der Verkauf. Dazu gehört ganz zentral das Portfolio mit Artist Statement, in dem die eigenen Ideen, Konzepte und Interessen vorgestellt werden, worin Jurys – oder Sammler:innen – dann im besten Fall das innovative Potenzial erkennen.

Welche Tätigkeiten zählen zum künstlerischen Unternehmertum? Sind das nur die im künstlerischen Sinn kreativen Tätigkeiten, oder auch z.B. Privatdozentin, Galerienführer, Museumsaufsicht oder andere Broterwerbe, die Kunst ermöglichen?
Luks: Streng gesehen gehört zum künstlerischen Unternehmertum in erster Linie die Entwicklung und Verbreitung der eigenen künstlerischen Tätigkeiten. Da dies allein aber in der Regel zu wenig Geld einbringt, werden weitere Arbeiten parallel ausgeführt, idealerweise im nahen Kunstfeld. Im besten Fall stimuliert die Arbeit, die parallel zum Kunstmachen ausgeübt wird, die eigene Produktion. So gesehen gehören die anderen Broterwerbe auch zum künstlerischen Unternehmertum.

Was bedeutet Erfolg in der Kunst?
Luks: Ich denke, dass lässt sich nur individuell definieren. Für die einen heisst Erfolg, von der Kunst leben zu können. Für andere wiederum, dass ihre Werke vom Publikum verstanden und mit guten Kritiken in Fachzeitschriften und Katalogen besprochen werden. Dass man mit der eigenen Arbeit zufrieden ist, kann auch Erfolg bedeuten. Wiederum internationale Berühmtheit zu erlangen, ist für manche das höchste aller Gefühle. Eine eigene Struktur aufzubauen, bei der sich Künstler:innen gegenseitig helfen und unterstützen, kann auch Erfolg heissen.

Wie und wie gut lässt sich Erfolg planen?
Luks: Auch das hängt vom individuellen Einsatz ab. Man hört oft, es brauche eine gute Portion Glück. Auch Beharrlichkeit und Durchhaltewille werden ins Feld geführt. Autor:innen von Rategeberbüchern für Künstler:innen ermutigen einen, sich proaktiv um den eigenen Erfolg zu kümmern, indem man an viele Vernissagen geht und mit den Leuten ins Gespräch kommt. Daraus ergeben sich dann im besten Fall wieder neue Möglichkeiten.

Wie affirmativ ist Künstlertum im Sinne des Entrepreneurships, wie kritisch darf es sein?
Luks: Die Entwicklung hin zu mehr Unternehmertum muss sicher auch kritisch gesehen werden. Ein Kunstwerk kann nicht mit einem anderen wirtschaftlich vermarktbaren Produkt verglichen werden. In einem Kunstwerk können beispielsweise auch Ängste, die eigene Verletzlichkeit und Unsicherheiten thematisiert werden. Die unternehmerischen Tendenzen beeinflussen sicher die Selbstwahrnehmung der Künstler:innen. Zugleich gibt es aber auch alternative Wege, wie sich Künstler:innen selber organisieren können und untereinander Banden bilden, um sich dem Markt ein Stück weit zu entziehen.

Kunstschaffende werden oft als Pionier*innen einer deregulierten Arbeitswelt gesehen. Dennoch verdienen die meisten deutlich unter dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Sehen Sie darin einen Widerspruch?
Luks: Wenn man Kunstschaffende mit Start-ups vergleicht, von denen 80% in den ersten Jahren scheitern, dann sehe ich keinen Widerspruch. Wenn wir aber die Kunst als einen wichtigen Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft ansehen, die eine offene und vielfältige Kultur entscheidend mitprägt und nicht blosse Freizeitunterhaltung ist, dann sehe ich darin einen Widerspruch.

Wie wichtig ist sind Förderungen für den Broterwerb?
Luks: Förderungen können sicher helfen, dass Künstler:innen sich gewisse Zeitfenster nehmen können, um sich voll und ganz ihrer Kunst zu widmen. Dass Förderungen jedoch über mehrere Jahre einen fixen Broterwerb ersetzen, ist wohl in den wenigsten Fällen möglich.

Förderbeiträge werden von Jurys vergeben. Wer sich darum bewirbt, steht im Wettbewerb, der wiederum der Verwertungslogik des Kapitals folgt. So gesehen produziert das Fördersystem in ähnlicher Weise Verlierer:innen wie der Markt. Wäre ein System denkbar oder wünschenswert, das die Idee der Förderung in einem breiteren Sinn denkt? Wie könnte das aussehen?
Luks: Der Wettbewerbsgedanke ist sicher nicht nur förderlich, wobei er zum Teil auch Ansporn sein kann. Denkbar wäre möglicherweise ein Fördersystem, das alle professionell arbeitenden Künstler:innen zu gleichen Teilen unterstützt, wo wir dann bald beim bedingungslosen Grundeinkommen wären. Im breiteren Sinne könnte man sich auch vorstellen, dass mehr grössere Firmen eine Kunstsammlung aufbauen und gezielt aktuelle Positionen unterstützen. Grundsätzlich wären mehr Möglichkeiten für kantonale und nationale Kunst am Bau-Projekte und im öffentlichen Raum sicher wünschenswert. Ein Stück weit liegt es auch in der Verantwortung der Gesellschaft, mehr Kunst zu kaufen und beispielsweise auch beim Bau eines Eigenheims Kunst am Bau mit einzuplanen.

Zu Ihrer Ausstellung „Entrepreneurship – oder die Verheissung des brotlosen Glücks“ im Kunst Raum Riehen haben Sie zehn Kunstschaffende und Kollektive eingeladen, sich Gedanken zu diesem Thema zu machen. Wie verhalten sie sich dazu, wie setzen sie sich damit auseinander? Was ist zu sehen?
Luks: Aus meiner Perspektive sind alle professionell arbeitenden Künstler:innen in irgendeiner Form Unternehme­r:innen. Wie zum Beispiel Milva Stutz, die sich in ihren Arbeiten für die Beziehung zwischen Körper, Intimität und Technologie interessiert. Beni Bischof wird eine Auswahl von Gemälden zeigen, die mit dem Thema assoziiert werden können und Vera Trachsel bemalte Schaumstoffarbeiten, die zwischen Malerei und Skulptur changieren. Zudem gibt es auch Positionen, die direkt die Bedingungen des Künstler:innendaseins behandeln. Johannes Hedinger etwa hat 2017 ein Forschungsprojekt zum sich wandelnden Selbstverständnis der Künstle­r:innen in der Schweiz gemacht. Die Resultate werden in der Ausstellung gezeigt. Maria Pomiansky wiederum besucht die ausstellenden Künstler:innen im Atelier und malt Bilder von ihnen, die in der Ausstellung gezeigt werden und auch als Zine gedruckt werden. In Lysann Königs Video „Survival of an Artist“ rappt ihr Charakter Lysann über die Herausforderungen, als Künstlerin zu überleben. David Berweger zeigt ein Plakat, das eine (fiktive) Bewerbungsmöglichkeit thematisiert, mit der Künstler:innen ständig konfrontiert werden. Von San Keller zeige ich eine Arbeit von 2009, in der er typische Posen anderer Künstler:innen in deren Ateliers einnimmt und diese fotografisch festhält. Die Gruppe Mickry 3 macht für die Ausstellung eine Rauminstallation mit Geldskulpturen, welche die Besucher*innen wie in einem Hofladen direkt vor Ort erwerben können.Und schliesslich gibt es noch ein Spiel- und Lesezimmer, wo unter anderem Olivia Hernaïz’ „Art & My Career“ gespielt werden kann, ein Spiel über verschiedene Karrieren in der Kunstwelt und die Missstände, auf die man hier stossen kann.