Urban Ecologies: von Gorillas und Nacktmulchen

Patrick Goddard, Animal Antics, 2021, Ausstellungsansichten Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
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29. Oktober 2021
Text: Dietrich Roeschann

Vikenti Komitski, Patrick Goddard, Urban Ecologies.
Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk, Eschholzstr. 77, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 17.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 14.00 bis 20.00 Uhr, Sonntag 14.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 7. November 2021.
www.gegenwartskunst-freiburg.de

Vikenti Komitski, Superior Mirage, 2021, Ausstellungsansichten Galerie für Gegenwartskunst, E-Werk Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo

Die abendländische Philosophie definiert Menschsein vor allem im Gegensatz zur Tierhaftigkeit. Der Mensch sei Mensch, weil er die Bestie überwunden habe, heißt es. Aber stimmt das? Kelly Oliver ist davon wenig überzeugt. In ihrem Buch „Animal Lessons“ stellt die US-amerikanische Ethikerin die Gegenthese auf: Es seien die Tiere, die uns lehren, menschlich zu sein. In nahezu jeder Regung und in jeder Beziehung ihrer Exis­tenz würden sie uns zeigen, dass und auf welche Weise wir eben nicht wie sie seien – leider nicht immer zum Vorteil der anderen Mitwesen.

Woopsie dürfte diese Einschätzung teilen – obwohl, oder gerade weil er ein Hund ist. Der weiße Pudel ist die Hauptfigur in Patrick Goddards jüngster Videoarbeit „Animal antics“, die derzeit in der Ausstellung des Londoner Künstlers  (*1984) in der Galerie für Gegenwartskunst im Freiburger E-Werk zwischen leuchtenden Quallen-Porträts und zu Techno-Beats explodierenden Blüten zu sehen ist. Woopsie macht sich hier Gedanken über das Verhältnis von Mensch und Tier. Auf ausgedehnten Spaziergängen ím Zoo redet er darüber mit seiner Halterin Sarah. Zusammen erörtern sie, ob es sexistisch sei, in einer Giraffe allein aufgrund ihres grammatischen Geschlechts nur das weibliche Tier zu erkennen, oder ob man das Pfeifen der Erdmännchen wirklich Sprache nennen könne, obwohl weder Menschen noch Hunde sie verstehen. Sie reden über Gorillas und Nacktmulche, über das Recht, Lebewesen zu essen, oder den Sinn von Zootieren, die sich nie den Besuchern zeigen. Seine Sprachbegabung und sein intellektueller Witz machen Woopsie auf skurrile Weise zugleich zum Komplizen und zum Kritiker unserer Wahrnehmung tierischer Existenz, der sowohl das Verbindende als auch das Trennende betont. Dass sich Letzteres vor allem in der fatalen Logik zeigt, für den vermeintlichen Fortschritt der Menschheit die Lebensgrundlagen aller Wesen zu opfern, thematisiert Goddard in einer dystopischen Installation von 180 auf dem Boden verstreut liegenden Vogelkadavern aus Blei, als eine Art Mahnmal für die an den Folgen der Umweltverschmutzung verendeten Individuen aller Spezies.

Die Durchlässigkeit zwischen Natur und Kultur steht auch im Zentrum der Arbeiten von Vikenti Komitski (*1983), dessen Ausstellung zeitgleich in der Studio-Galerie im E-Werk zu sehen ist. In der Mitte des Raumes sprudelt ein Brunnen. Das unablässige Gurgeln wirkt wie das Echo der Wildnis im urbanen Raum, dem Komitski die Einzelteile seiner Installationen entnimmt. Arrangiert aus Fundstücken wie Deko-Pflanztrögen, Gitterfragmenten, einer Plastiktüte vom Thai-Take-Away, einer Zimmerpalme und einem Stahlgeländer, wirkt „Superior Mirage“ wie das Modell eines Indoor-Dschungels für den Heimbedarf. Daneben ragen zwei weitere Geländer hochkant aus der Wand in den Raum. Komitski versteht sie als experimentelle Readymades: Auf Kurzbesuch im Kunstraum, wo sie, auf Kopfhöhe montiert, schmerzhafte Kollisionen provozieren können, werden sie nach der Ausstellung an ihren ursprünglichen Ort in den Stadtraum zurückkehren und die Menschen dort wieder schützen statt gefährden.

Auch ansonsten erkundet Vikenti Komitski die Übergänge zwischen Natur und Kultur gerne mit Blick auf das Kommen und Gehen aller Dinge, was oft zu überraschenden Synthesen führt. Das kann ein mit Rinde umhülltes Lüftungsrohr sein oder eine Konstruktion aus Duschschläuchen, aus denen Geweihe wuchern. Oder auch ein schlichter, von Rost zerfressener Schachtdeckel, der – in blaue Farbe getaucht – an der Wand lehnt, als Relikt der Ressourcenausbeutung im Industriezeitalter und zugleich als Hinweis auf die Unhintergehbarkeit natürlicher Transformationsprozesse. Ob wir diese als Verfall oder Veränderung wahrnehmen, als entmächtigend oder gestaltbar, prägt unseren Blick auf die eigene Zukunft. Komitski leitet daraus die Aufforderung ab, uns endlich als Teil statt als Gegenüber der Natur zu verstehen. Und zwar – so hat er es hier in eine zentnerschwere Marmorplatte gemeißelt – „As soon as possible“, so bald wie möglich.