Lorenza Longhi: Minuet of Manners.
Kunsthalle Zürich, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 20.00 Uhr.
Bis 5. September 2021.
www.kunsthallezurich.ch
www.lorenzalonghi.biz
Im ersten Moment sieht es nach Vandalismus aus. Die Polster des Sitzmoduls im italienischen 80s-Look, das im Treppenhaus vor dem Eingang der Kunsthalle Zürich steht, wirken wie mit silbergrauer Farbe übermalt. Einfach die Rolle in den Eimer getaucht und, klatsch!, sieben, acht Mal kreuz und quer über das elegante Leder gerollt. Es ist ein smarter Auftakt für eine Ausstellung mit dem Titel „Minuet of Manners“. Im Saaltext heißt es, dieser Gesellschaftstanz der Manieren kreise um die Frage: Wie bewegen wir uns in Kunsträumen? Wie in einem Geschäft? Oder wie zuhause? Vermutlich weder noch, weil unsere Erwartungen andere sind. Zum Beispiel dass die Künstlerin, die diese Räume bespielt, mit der Realisierung ihrer Arbeiten aus der Alltagsroutine heraustritt und alles auf den Kopf stellt. Vor allem natürlich vermeintliche Gewissheiten. Schließlich ist das ihr Job.
Lorenza Longhi hat das schon immer gerne gemacht, oft kaum merklich, bei näherem Hinsehen dann aber doch ziemlich radikal. An der Plattform 2019 etwa, einer von jungen Schweizer Kurator:innen konzipierten Jahresschau von Kunsthochschulabsolvent:innen, zeigte die 1991 in Lecco am Comer See geborene Künstlerin neben Malerei den Nachbau eines Büroregals von USM Haller. Die betont nachlässige Rekonstruktion aus gefundenen Materialien wahrte den Schein nur im Augenwinkel. Aus der Nähe lösten sich alle an diesem Möbel haftenden Versprechen von Geschmack, Wohlstand und nobler Konvention in Nichts auf. An den versehrten Oberflächen der Second-Hand-Materialen, die Longhi hier zusammengeklebt hatte, wurde plötzlich die Fragilität der Idee von Schönheit und die erbärmliche Arroganz eines Designs sichtbar, das stolz darauf ist, Monokulturen zu züchten.
Auch die Sitzmöbel in Lorenza Longhis Soloschau in der Kunsthalle Zürich sind schlechte Kopien, die sich durchaus als Mischung aus Persiflage und Hommage verstehen lassen. Als sperrige Look-alikes der Museumsbänke aus dem Palazzo delle Esposizioni in Rom stehen sie hier im weitläufigen Saal im 2. OG verteilt und lassen offen, ob ihr Angebot, sich darauf auszuruhen und den Blick schweifen zu lassen, nun tatsächlich gilt – oder doch eher die Aufsicht auf den Plan rufen würde. Was man von hier aus jedenfalls sehen könnte, sind knapp zwei Dutzend Bilder, die sich in erheblicher Ferne an den Wänden in großzügigen Layouts verteilen. Befestigt sind sie an dünnen Metallstangen eines variablen Hängesystems, das Mitte der 1980er Jahre von der italienischen Architektin Gae Aulenti entwickelt wurde, wegen der Dominanz seines Designs über die Kunst aber kaum zum Einsatz kam. Solche Fehler im System kultiviert Longhi auch in ihrer Malerei, die das Resultat eines überraschend unaufgeregten Produktionsprozesses ist. Für ihre Bilder verwendet sie meterweise billigen Stoff in monochromen Farben, auf den sie Anzeigenmotive, Werbeslogans oder Tape-Streifen klebt. Anschließend bedruckt sie den Stoff im Siebdruckverfahren mit silberner Farbe – wobei sie sich wenig um Knicke oder Falten schert – und entfernt die aufgeklebten Elemente dann wieder, so dass diese am Ende wie im Negativ auf einem glamourös schimmernden, von kleinen Makeln gezeichneten Untergrund erscheinen. Die Halbsätze, die hier unvermittelt in den Bildraum spülen, wirken wie gestrandete Fragmente einer scheinbar zeitlosen Fortschritts-Rhetorik des Wachstums, der Optimierung und Deregulierung. „Incredibly global, incredibly private“. Tatsächlich stammen viele dieser Slogans aus den frühen Neunzigern. Lorenza Longhi eignet sie sich in ihrer Malerei an, um zu erkunden, was sie einst so attraktiv machte – und was ihre Reproduktion heute über das Fortleben ihrer ideologischen Grundannahmen in der Gegenwart erzählt.