Phyllida Barlow: Humor und Brüchigkeit schlägt Monumentalität

Phyllida Barlow, untitled: folly, 2015/2016, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Review > München > Haus der Kunst
24. Juni 2021
Text: Jürgen Moises

Phyllida Barlow: frontier.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag , Mittwoch, Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr, Freitag und Samstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 25. Juli 2021.
www.hausderkunst.de

Phyllida Barlow, untitled: folly, 2015/2016 (l.); untitled, 2013, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2021, Foto: Maximilian Geuter
Phyllida Barlow, untitled: 11 awnings, 2013, Installationsansichten Haus der Kunst, München, 2021, Foto: Maximilian Geuter

„Es überrumpelt mich.“ So schreibt Phyllida Barlow in ihrer „Gedankenskizze“, die während des Aufbaus ihrer Ausstellung „frontier“ im Münchner Haus der Kunst entstand und auf dessen Webseite zu lesen ist. „Eine unsichtbare Raumkraft herrscht, voller Tücke“, diagnostiziert die britische Künstlerin darin ebenfalls: „Zuerst zu viel Raum, dann, grundlos, zu wenig … Die Architektur kann hexen.“ Gemeint ist damit die monumentale, neoklassizistische Architektur des von Adolf Hitler in Auftrag gegebenen Nazi-Baus, der ja genau das auch im Sinn hatte: Den Besucher zu überrumpeln, zu verhexen, als monströser „Tempel“ deutscher Kunst. Was Phyllida Barlow aber auch schreibt, ist, dass sie mit zumindest einer ihrer Arbeiten die „Schlacht“ gegen das Haus gewonnen hat: „Der Raum hat verloren. Ein kleiner, aber wichtiger Sieg.“

Sie überrumpelt mich. Das könnte man genauso gut über die Kunst Phyllida Barlows sagen. Nur macht sie das nicht mit Stein oder mit Marmor, sondern mit Stoff, Gips, Plastik, Styropor, Holz, Maschendraht. Dinge, die man in jedem gut sortierten Baumarkt findet. Und statt auf Solidität und maskulines Protzgehabe wird auf brüchige Materialien und Konstruktionen sowie auf Humor gesetzt. Das beginnt schon am Eingang, an der Tür des Ostflügels, wo den Besucher ein Konglomerat aus bunten Flaggen erwartet. Was ist hier los? Ein Aufmarsch, eine Demo? Es kostet Überwindung, dort hineinzugehen. Tritt man hinein, merkt man: Hinter den Flaggen stecken keine Menschen, stattdessen sind sie auf zusammengenagelten Holzständern befes­tigt. „untitled: 100 banners“ (2015) heißt die Arbeit, die man vielleicht als Fanal der Kunst und gegen die Politik verstehen kann. Dazu passt, dass die Fahnen wie zerlegte Bilder, Keilrahmen und Leinwände aussehen.

Tatsächlich hat die 1944 im britischen Newcastle geborene Künstlerin zuerst Malerei, dann Bildhauerei in London studiert und anschließend jahrzehntelang als Professorin für Bildende Kunst gelehrt. Prägende Einflüsse waren die Arte Povera, der Minimalismus, aber noch mehr die vielen Baustellen, die sie als Teenager im vom Krieg versehrten London sah. Daraus hat sie eine ganz eigene Form der Bildhauerei entwickelt, für die die fünffache Mutter erst 2010, nach ihrer Emeritierung die verdiente Anerkennung fand (2017 vertrat sie Großbritannien in Venedig). Die späte (Wieder-)Entdeckung hat sie dabei mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Geta Brătescu oder Teruko Yokoi gemein. Und wie es heißt, sind unter dem aktuellen Leiter Andrea Lissoni noch mehr Ausstellungen mit „weiblichen Stimmen“ im Haus der Kunst geplant.

Die Ausstellung „frontier“ ist für diese Reihe ein furioser, aber auch herausfordernder Auftakt. Das hat neben den „100 Banners“ mit Arbeiten wie „untitled: screestage“ (2013) in der Mittelhalle zu tun: Eine große, schief im Raum liegende „Geröllhalde“, die man als Besucher erst mal nur von unten und von hinten sieht. Oder „untitled: hoard“ (2013): Ein Gewimmel aus Farben und Formen, das wie ein gescheitertes Kunstwerk auf dem Boden liegt. Dann gibt es aber auch Arbeiten wie „untitled: female“ oder „untitled: awnings“, die wie Sonnenschirme oder bunte, schützende Vordächer aussehen. Oder „Shedmesh“: Ein Würfel aus Keilrahmen, Leinwand- und Schaumstoffstreifen, der als fransige Retourkutsche auf den glatten Minimalismus in den Siebzigern entstand. Nur musste ihn Barlow 2020 noch einmal nachbilden, weil das Original wie zahlreiche andere Frühwerke verloren oder aus Platzmangel zum Material für neue Arbeiten geworden ist. „untitled: folly“ (2015/2016) besteht aus aufgeschlitzten und innen hohlen Säulen. Eine Karikatur der Monumentalarchitektur, deren Funktionslosigkeit die Britin offenlegt. Die Schlacht gegen den, wie sie sagt, „tückischen“ Raum: Phyllida Barlow hat sie mit Frechheit und Klugheit gewonnen.