Anselm Kiefer: Der Geist im Blei

Anselm Kiefer, Der fruchtbare Halbmond, 2010, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim, Foto: Charles Duprat, alle © Anselm Kiefer
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17. Juni 2021
Text: Julia Hochstenbach

Anselm Kiefer.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 22. August 2021.
www.kuma.art

Anselm Kiefer, Hortus Conclusus, 2014, Sammlung Grothe im Franz Marc Museum, Foto: Charles Duprat, alle © Anselm Kiefer
Anselm Kiefer, Die Große Fracht, 1985-1995, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim, Foto: Charles Duprat, alle © Anselm Kiefer

Tiefhängende Wolken wälzen sich über trüben Wassermassen, trostloses Ödland, nebelverhangene Städte, bleierner Morast: Nach monatelangem Warten öffnete die Kunsthalle Mannheim nun endlich die Türen für ihre Anselm-Kiefer-Ausstellung, basierend auf einer Zehn-Jahres-Leihgabe des Kunstsammlers Hans Grothe, die auch nach der Ausstellungsdauer einen Raum der Kunsthalle mit wechselnden Einzelexponaten bestücken wird. Mit Bildern und Skulpturen aus den 1980er Jahren bis 2017 wurde ein repräsentativer Überblick über das Schaffen Kiefers gewählt.

Hier tauchen wir also ein in Kiefers Welt aus Blei und Asche, Düsternis und Gigantomanie, in der Weite sich als dumpfe Bedrängnis erweist, Kriegsbomber den Himmel zerschneiden, Pflanzen verwelken, Mensch und Tier verschwunden sind. In ein inneres Universum geht sein Blick, tief hinein ins Abgründige des Menschen. Ohne jede Beschönigung, ohne Scheu vor Konfrontation oder Schmerz wühlt er das Düsterste, Zerstörerischste, die Ursachen des Kriegerischen im menschlichen Wesen hervor. Diese Perspektive durchzieht sein gesamtes Werk, getrieben von einer intensiven Beschäftigung mit großen Themen, an denen er sich oft in Werkserien obsessiv abarbeitet: ob Religionen, Mystik, Mythos, Politisches, Geschichtliches oder Kosmologie – immer geht es bei Kiefer um große Zusammenhänge, um Tod und Sein, Natur und Mensch, Geist und Materie, um das Wesen des Menschen, und immer wieder findet er dunkle Strukturen, Macht, Kontrolle oder Zerstörungswut, wie etwa im Bild „Lilith“, in dem die mörderische mythologische Frauenfigur als schwarzer Haarschopf, als Signal ihrer selbst über einer lebensfeindlichen Stadt schwebt, Drohung und Verlockung zugleich.

Die Skulptur „Volkszählung (Leviathan)“ zeigt die Macht des Staates als Stahlcontainer, der die statistisch erhobenen Menschen als 60 Millionen in Bleiblätter gepresste Erbsen umschließt. Und in der raumgreifenden Installation „Palmsonntag“ sind Heilsgeschichte und Leidensweg Christi, Tod und Erneuerung höchst ambivalenter Gegenstand einer monumentalen Serie von Gemälden, die jedoch hinter Vitrinen verschlossen verstummen – konterkariert von einer enormen toten Palme, am Boden liegend wie ein Faustschlag.

Kiefer arbeitet konkret, dinglich – und zieht das Konkrete am Ende doch in die Abstraktion. Über das monumentale Gemälde „Am Anfang“ etwa, in dem der wolkenschwere Himmel sich in der grauen Brandung spiegelt, führt eine Jakobsleiter von außerhalb in den Himmel; zwischen den Sprossen stecken Fotos einer anderen Werkserie Kiefers, der aus wuchtigen Betonwürfeln gestapelten „Himmelstürme“, die sich bedrohlich und einsam in die Höhe recken. So bleibt die Leiter ein appliziertes Zitat, das die unwirtliche Natur ihres Naturalismus beraubt.

Dualismen sind auch sonst tragend in Kiefers Werken, reichen sogar bis ins Spielerische. Mit seinem vielgeliebten Werkstoff Blei formt er etwa Bücher und Papierstapel, in denen das schwere Metall und die feine, gleichsam vergeistigte Qualität des Papiers einander zugleich überhöhen und unterlaufen. Wunderbar auch das Gemälde „Jaipur“, auf dem sich über einer großen indischen Sternwarte ein bleierner Himmel wölbt, gestirnt mit den Stern-Zahlencodes der NASA. Die Sterne werden zur Metapher, zum rein Geistigen, und so entzweien Himmel und Erde das Bild, unten bunt und diesseitig, oben monochrom-abstrakt, eine Polarität von Leben und Tod, Geist und Körper, Ding und Symbol – und doch treten die beiden Hälften in Spiegelung, in Austausch, damit bleibt zuletzt auch das Irdische ungreifbar. So verliert bei Kiefer das Deutliche seinen Halt, zielt die Sinnfälligkeit auf Verunklarung, ja auf ein Verbergen des Eigentlichen: In all der Schwere und Monumentalität versteckt sich zuletzt Feineres, Komplexeres.