Gerhard Richter: Blick ins Weite, voller Ironie

Gerhard Richter, Eis, 1981, Sammlung Ruth McLoughlin, Monaco
Review > Zürich > Kunsthaus Zürich
19. Mai 2021
Text: Alice Henkes

Gerhard Richter: Landschaften.
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, Zürich.
Dienstag, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch und Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 25. Juli 2021.
www.kunsthaus.ch
Katalog bei Hatje Cantz, Berlin 2020, 220 S., 44 Euro | ca. 54.90 Franken.

Gerhard Richter, Stadtbild PX, 1968, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Foto: Blauel / Gnamm
Gerhard Richter, Venedig (Treppe), 1985, Art Institute of Chicago, Schenkung Edlis Neeson Collection; Foto: bpk / The Art Institute of Chicago / Art Resource, NY

In diesem Himmel könnte man sich verlieren. Auf einer Leinwand von zwei mal drei Meter spannt er sich auf. Blau, wie die Tiefe der Zeit. Wolken ziehen darüber, sahnig weich wie Kissen, in die man sich legen möchte. Und dann würde man herabschauen, aus den „Wolken“ von 1976 und über die Landschaften von Gerhard Richter gleiten. Landschaft, das ist in der Malerei seit jeher mehr als nur Wiesen, Wälder und Wolkenformationen am Himmel. Landschaften in der Kunst sind immer auch Spiegel der Zeit, der Gesellschaft, innerer Befindlichkeiten, der Wahrnehmung von Natur und Welt. In Gerhard Richters grossartigen und oft auch grossformatigen Landschaftsgemälden klingt all dies an und noch viel mehr. Die Bilder erzählen auch von Reflexionen über die Epoche der Romantik, über die Kunstgeschichte und das Wesen der Malerei.

Gerhard Richter, 1932 in Dresden geboren, entdeckte die Landschaftsmalerei als Motiv für sich, als er 1961 nach Westdeutschland floh. Richter hatte ein Studium an der Kunstakademie in Dresden abgeschlossen und galt als eines der grössten Talente der DDR. Im Westen begann er noch einmal ganz von vorn und nahm ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf auf. In der westdeutschen Kunstszene beschäftigten sich in den 1960er Jahren viele Kunstschaffende mit konzeptuellen Ansätzen oder mit abstrakter Kunst. Gerhard Richter ging in die entgegengesetzte Richtung: Er malte gegenständlich. Er malte sogar Landschaften. Ein Sujet, das im Ruf stand, altmodisch und langweilig zu sein.

In den Medien wird gern darauf hingewiesen, dass Richter der „teuerste deutsche Künstler“ sei. Ein Versuch, Zeitgenossen ohne grosse Affinität zur Kunst Richter schmackhaft zu machen. Denn: Wenn einer sich clever verkaufen kann, dann muss ja was an ihm dran sein. Und ein gewisses Mass an Taktik steckte in den 1960er Jahren wohl auch in Richters Rückbesinnung auf die Landschaften der Romantiker. Gerhard Richters eingehende Beschäftigung mit den Romantikern wird im ersten Teil der Ausstellung deutlich sichtbar. Der „Vierwaldstätter See“ von 1969 verliert sich in einer schattenhaft blassen Ferne, in einer träumerischen Ungewissheit, die vieles möglich macht und sich auf nichts festlegt. Die verschiedenen Teyde-Landschaften erinnern an William Turner. Und vor dem „Eis“ aus dem Jahr 1981 kann man gar nicht anders als an Caspar David Friedrichs „Eismeer“ denken.

Natürlich malt Richter nie einfach nur so ähnlich wie die Romantiker. Damit wäre er kaum zu einem Star der internationalen Kunstszene aufgestiegen. Wenn Richter die Romantiker zitiert, malt er die Distanz zwischen dem Damals und dem Heute mit. Zum Beispiel durch Ironie. Das Bild „Ruhrtalbrücke“ von 1969 zeigt eine offene Landschaft: viel Himmel, viel mild beleuchtete Weite, in der die Sehnsucht sich ausbreiten kann. Doch im unteren Drittel zieht sich eine Autobahnbrücke quer durchs Bild.

Landschaften finden sich in allen Werkphasen Richters. Das ironische Element spielt dabei oft eine grosse Rolle. Besonders in den „fiktionalen Landschaften“, bei denen sowohl der Himmel wie auch die See aus Wolken besteht oder aus bewegtem Wasser. Es sind Trickbilder, die eigentlich leicht durchschaubar sind. Und die trotzdem funktionieren: Man liest sie unweigerlich als Landschaft. Richter spielt in solchen Arbeiten damit, dass Landschaft immer eine Konstruktion ist. Dieser Gedanke liegt auch jenen Landschaften zugrunde, mit denen Richter sich im Bereich der Abstraktion bewegt. Immer wieder hat Richter ausprobiert, wie abstrakt ein Bild sein kann, so dass es dennoch als solches gelesen werden kann. Die Ausstellung zeigt viele faszinierende Beispiele. Besonders radikal ist das „Seestück (Grau)“ von 1969. Man könnte das quadratische Bild monochrom nennen – wären da nicht die starken Pinselspuren, die wie ein Relief windbewegter Wellen wirken.