Katja Aufleger: Der große Knall

Katja Aufleger, BANG!, 2013-2016, Installationsansicht Museum Tinguely, Foto: Gina Folly, © Courtesy the artist, Galerie STAMPA, Basel, Galerie Conradi, Hamburg
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28. Februar 2021

Katja Aufleger: GONE
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Samstag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Verlängert 18. April 2021.
Für den Museumsbesuch gelten die jeweils aktuellen Verordnungen der Behörden.

Katalog:
Distanz Verlag, Berlin 2020, 100 S., 34,00 Euro / ca. 51.90 Franken.

Katja Aufleger: Because it’s you.
Stampa Galerie, Spalenberg 2, Basel.
Dienstag bis Freitag 12.00 bis 18.30 Uhr, Samstag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 13. März 2021.

Katja Aufleger, AND HE TIPPED GALLONS OF BLACK IN MY FAVORITE BLUE, 2014, Foto: Katja Aufleger, © Courtesy the artist, Galerie STAMPA, Basel, Galerie Conradi, Hamburg
Katja Aufleger, LOVE AFFAIR, 2017, Filmstill, © Courtesy the artist, Galerie STAMPA, Basel, Galerie Conradi, Hamburg
Katja Aufleger, NEWTON’S CRADLE, 2013, Installationsansicht Museum Tinguely, Foto: Gina Folly, © Courtesy the artist, Galerie STAMPA, Basel, Galerie Conradi, Hamburg

Sisyphos träumt, dass in einer verkehrten Welt für ihn alles gut wäre. Da könnte er dann dem Stein ganz entspannt hinterher schlendern, den ein geheimnisvoller Wind oder vielleicht auch eine Art Gegenschwerkraft den Berg hochtreibt. Wie bei Katja Aufleger (*1983). In den kargen Weiten Islands drehte die Künstlerin 2013, kurz nach Abschluss ihres Studiums bei Andreas Slominski an der HFBK Hamburg, das Video „What Goes Around Comes Around“. Minutenlang kullert darin eine Styroporkugel in verblichenem Signalorange von rechts unten quer durchs Bild die Steigung hinauf nach links oben. Ist sie verschwunden, wechselt die Landschaft von Schwarz zu Grau oder von Braun zu Blau und die gleiche Kugel springt oder kriecht erneut über den Schotter, vorbei an der statischen Kamera, mal schnell, mal langsam, aber immer aufwärts und begleitet von diesen klickernden, quietschenden, wispernden Sounds, die das Plastik auf dem Grund produziert. 

Im Museum Tinguely ist diese Videoarbeit eher beiläufig in einem Flur über den Schließfächern zu sehen und gibt einen ersten Eindruck von dem stillen Humor, der so typisch ist für Auflegers Werk wie ihr seltsames Faible fürs Akus­tische, vorzugsweise als Vorstellung. In ihrer Basler Soloschau verbindet sich beides auf fast unmerkliche Weise. So könnte man meinen, der Witz ihrer Arbeiten liege vor allem in der erwartungsfrohen Spannung, dass es gleich kracht. Die Voraussetzungen dafür stimmen jedenfalls. Gleich im großen Saal im Erdgeschoss, wo Jean Tinguelys begehbares Stahlungetüm „Grosse Méta-Maxi-Maxi-Utopia“ von 1987 im Stand-by-Modus ruht, um alle paar Stunden von lärmenden Schulklassen geweckt zu werden, hängt von der Decke an dicken Stahlseilen ein Newtonpendel mit drei Zehn-Liter-Kugelkolben aus Glas. Gefüllt sind sie mit Schwefelsäure, Salpetersäure und Glycerin, jedes für sich nicht ungefährlich, zusammengemischt aber hochexplosiv. Die Bewegung des Pendels würde zu einer Detonation führen, die nicht nur die Méta-Maxi-Maxi-Utopia zerlegen würde wie Tinguely einst seine autodestruktive Installation „Homage to New York“.  

Ganz ähnlich aus der Imagination eines Geräusches heraus entstand auch die Objektgruppe „BANG!“, die Aufleger hier auf fünf schlanken Sockeln in Augenhöhe zeigt. Die mundgeblasenen, mit verschieden farbigen Flüssigkeiten, Pulvern und Granulaten befüllten Glasobjekte, deren brutal abgeschlagenen Hälse wie Gefahrengut mit Gummistopfen verschlossen sind, bestehen jeweils aus zwei oder drei organisch geformten Kammern, die nach dem optimalen Mischungsverhältnis einzelner Zutaten für die perfekte Explosion bemessen sind. In dem lautmalerischen Titel dieser Arbeit klingt nicht nur die Furcht vor der Zerstörung an, die ein Sprung im Glas bewirken könnte, sondern auch die heimliche Vorfreude auf das, was ein Neustart danach ermöglichen würde. Bleibt das schöpferische Potenzial des Destruktiven hier ein Gedankenspiel, nutzt Aufleger es in ihrer 22-minütigen Videoarbeit „Love Affair“ für den Entwurf einer Art Typologie des Abtretens von der Bühne mit großer Geste. Die Sterbenden sind in diesem Fall Lampen aller Art. Einzeln leuchten sie in die Dunkelheit, ihr warmes Licht hat etwas Tröstliches – bis ein Schuss aus dem Luftgewehr sie spektakulär bersten, implodieren, Funken sprühen lässt oder manchmal auch nur mit einem kurzen Scheppern den Garaus macht. Es ist die einzige Arbeit in der Ausstellung, die Zerstörung tatsächlich zeigt. In der schier endlosen Abfolge platzender Glühbirnen ist sie eine Meditation über die Schönheit des Moments der Verwandlung. Nichts vergeht, alles ist in Bewegung.    

[Dietrich Roeschmann]