Monica Bonvicini. Lover’s Material

Monica Bonvicini, LOVER’S MATERIAL, Kunsthalle Bielefeld © Monica Bonvicini und VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Foto: Jens Ziehe
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1. März 2021
Text: Sandra Hampe

Monica Bonvicini: Lover’s Material.
Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Str. 5, Bielefeld.
Dienstag, Donnerstag, Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 21.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 30. Mai 2021.

www.kunsthalle-bielefeld.de

Monica Bonvicini, LOVER’S MATERIAL, Kunsthalle Bielefeld © Monica Bonvicini und VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Foto: Jens Ziehe
Monica Bonvicini, LOVER’S MATERIAL, Kunsthalle Bielefeld © Monica Bonvicini und VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Foto: Jens Ziehe

[—artline Nord] Knirschend oder weich – allein der erste Schritt in einen Ausstellungsraum der Künstlerin Monica Bonvicini (*1965) kann ein Erlebnis sein. Der Raum – insbesondere der institutionelle – ist ein anderer, wenn sie mit ihm gearbeitet hat. So verlegte sie 1998 Styropor und Rigipsplatten über den kompletten Boden des Ausstellungsraums und machte den Besucher mit jedem Schritt zum brachialen bis ungeschickten Eingreifer und Performer ihrer Arbeit „Plastered“. Aktuell stattete Bonvicini die zweite Etage der Kunsthalle Bielefeld mit einer Collage aus etwa 80 Teppichen aus. Jeder Teppich der Arbeit „Breach of Decor“ beruht auf Fotografien, die eine abgestreifte Hose samt Unterwäsche auf dem Fußboden zeigen, als sei man ihr just selbst vor dem Sprung unter die Dusche oder inmitten eines wilden Techtelmechtels entschlüpft. Latent sexuell und banal bis intim rückt die Künstlerin den privaten Raum in die Öffentlichkeit der institutionellen Ausstellungsarchitektur und macht die Hose zur Form und Geste von Privatheit. Bei einem Besuch des Architekten der Kunsthalle, Philip Johnson, soll Andy Warhol einmal so eine herumliegende Hose aufgefallen sein.

Bezug zu Ausstellungsorten, ihrer Geschichte und Architektur ist in Bonvicinis Arbeiten zentral. Für sie ist Architektur Ausdruck einer Gesellschaft. Eine gebaute physische Realität, die private und öffentliche, wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten – Machtgefüge – (um)schreibt und begrenzt. Und für eben diese Abhängigkeiten interessiert sich die Künstlerin. Bereits mit ihrer Arbeit auf der Venedig Biennale 1999, für die sie mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, thematisierte Bonvicini die Konstruktion sexueller Identität durch Architektur. In ihrem gebauten und wieder halb zerstörten White Cube „I Believe in the Skin of Things as in that of Women“ stellte sie an seinen Wänden Zitate berühmter Architekten Karikaturen gegenüber, die die Macht- und Autoritätspositionen der Baumeister dekonstruierten. Humorvoll machte sie so nicht nur die Geschichte der Architektur als männlich dominierte deutlich, sondern als sprachlich wie ideologisch in männlich sexueller Dominanz verwurzelte. Eine Tatsache, die sie mit dem Demolieren des Raumes zerbröckeln ließ.
Ihre Materialien folgen einer Ästhetik, die brachial wie verführerisch sein kann: Leder, Lack, Glas, Spiegel, glänzende, glatte Oberflächen, Metalle und die immer wieder verwendeten Metallketten, Ripgips und Ytong-Steine. Ästhetische Bezüge zu Fetisch und Porno, Kitsch und Trash tun sich immer wieder auf. Mit Ihren ersten Arbeiten von „Liebesschaukeln“, so „Never Again“, 2005 in Berlin, hallte ihr kurzzeitig der Ruf des Bad Girls der Kunst nach. Doch ihr Werk ließ sich nicht auf diese Oberfläche reduzieren.

Monica Bonvicini findet Formen und Sprache, die so präzise wie reduziert sind, dass sie zu eigenständigen Zeichen werden. Und das ist alles andere als spröde, sondern mit einem manchmal auch scharfen wie einfachen Auge-um-Auge-Humor. So in Bielefeld mit ihren dezenten, skulpturalen Raumeingriffen der Serie „Grab them by the balls“, 2020. Einzelne Hände ragen auf Schritthöhe aus den Wänden des Ausstellungsraums, die Handinnenflächen leicht zum „Eierschaukeln“ gewölbt. Bonvicini nimmt, auch vor dem aktuellen Hintergrund der bevorstehenden US- Präsidentschaftswahlen, eines der unzähligen empörenden Zitate Donald Trumps, dreht es einfach um und lässt es Form werden. In solch kleinen Gesten wie in monumentalen Skulpturen macht Monica Bonvicini gesellschaft­liche Machtverhältnisse in ihren Absurditäten sichtbar, die die Selbstverständlichkeit ihrer Präsenz enttarnen und in Frage stellen. Ihre Überspitzungen öffnen die Augen für die Absurdität der sprachlich wie architektonisch vorherrschenden exis­tenten Metaphern, formen Bilder männlich sexueller Dominanz. Bonvicinis Aus­stellung ist die erste von der neuen Direktorin Christina Végh verantwortete Schau in der Kunsthalle Bielefeld, die ergänzend im Obergeschoss Werke aus der Sammlung in Bezug zu Bonvicinis Thematiken zeigt.

[Sandra Hampe]