Thomas Geiger

Thomas Geiger, Some Great Europeans, 2019, Performancestill, Courtesy the artist, Foto: Thomas Geiger
Thomas Geiger, Some Great Europeans, 2019, Performancestill, Courtesy the artist, Foto: Thomas Geiger
Porträt
1. März 2021
Text: Leon Hösl

Thomas Geiger: Bust Talk.
Eine Performance der Reihe ist Im Rahmen der ersten Ausgabe der Biennale für Freiburg (BfF) geplant, die von Leon Hösl kuratiert wird.
www.bienallefuerfreiburg.de
www.twgeiger.de

Bust Talk (Pietro), Performancestill im Black Forest Institute of Art, 2020 (r.), Courtesy the artist, Foto: Thomas Geiger
Thomas Geiger, Bust Talk (Pietro), Performancestill im Black Forest Institute of Art, 2020 (r.), Courtesy the artist, Foto: Thomas Geiger

Nach wenigen Minuten fällt es nicht mehr auf, dass die Gesprächspartner von Thomas Geiger keine Reaktion zeigen, nicht den Mund öffnen und keine Miene verziehen. Stattdessen wirkt es, als würden seine Gegenüber an der Unterhaltung aktiv teilnehmen, was allerdings eher unwahrscheinlich ist, bestehen sie doch aus leblosem Material, wie Gips, Marmor oder Stein. Der Eindruck wird allein durch die simplen, aber konsequent durchgeführten Gesprächssituationen der „Bust Talks“ hervorgerufen, bei denen der 1983 in Lörrach geborene Künstler Büsten, Statuen oder ähnlichen skulpturalen Erzeugnissen Fragen stellt und die Antworten nach kurzem Zuhören dem Publikum mitteilt, was den sonst stummen Figuren eine fast unheimliche Lebendigkeit und Präsenz verleiht. Seien es bekannte Figuren wie Ludwig van Beethoven oder ein anonymer Frauenakt im Black Forest Institute of Art in Lenzkirch – die Wirkung der steinernen Verkörperungen verändert sich nach den Gesprächen, als würden sie eigentlich doch sehr wach am Fortlauf der Zeit teilnehmen. Die „Bust Talks“ gehen von einer Zeitgenossenschaft der historischen Denkmäler aus und zeigen eine Möglichkeit, sie diskursiv zu überschreiben und sie dadurch neu auf die Gegenwart zu beziehen – was den Figuren einerseits die Möglichkeit gibt, über die heutige Relevanz ihren Leistungen zu sprechen, sie aber andererseits auch kritisch konfrontiert und beispielsweise den Sozialreformer Friedrich Raiffeisen zu seinen antisemitischen Äußerungen befragt.

Die Arbeit „Some Great Europeans“ geht genau gegensätzlich vor – anstatt eine leblose Statue zu aktivieren, schlüpfen Passanten im indischen Chandigarh in die Rolle von Statuen „wichtiger“ europäischer Figuren wie Mozart oder Churchill. Dadurch geschieht eine punktuelle Aneignung westlicher Kultur, die an diesem stark durch den Modernismus von Le Corbusier geprägten Ort, eine besondere Relevanz erhält. Auch hier geht es darum, das Erinnern an historische Figuren auf die Gegenwart zu beziehen, und den Repräsentanten des Kulturguts westlicher Gesellschaften durch diese Form der Aneignung zumindest symbolisch ihren alleinigen Platz auf dem Sockel streitig zu machen.

Der öffentliche Raum nimmt in Thomas Geigers performativen Arbeiten immer eine zentrale Rolle ein, als Thema der Erinnerung und Repräsentation in den beschriebenen Werken oder als Geschichte der performativen Intervention selbst, wie in dem „Festival of Minimal Action“. Für dieses Format führt Thomas Geiger historische Aktionen anderer Künstler aus, so nah an der ursprünglichen Aktion wie möglich, aber angepasst an die neue Umgebung. So fährt er wie Igor Grubić 2008 in Kroatien mit einer roten Fahne in der Hand Fahrrad oder küsst Passanten durch eine Glasscheibe wie Jiří Kovanda. Diese Aktionen sind als Reenactments eines anderen Werkes ausgewiesen, doch machen sie gleichzeitig auch die Bedingtheit von öffentlichen Performances durch ihre politischen, zeitlichen und örtlichen Umstände ihrer Konzeption und Ausführung deutlich.

In ihrer Konsequenz folgt das „Festival of Minimal Action“ dabei Überlegungen zur Dokumentierbarkeit von Performances, die Thomas Geiger auch in vielen seiner Künstlerbüchern beschäftigt, die großteils im eigenen, gemeinsam mit Astrid Seme geführten Mark Pezinger Verlag erschienen sind. Das Reenactment ist Ereignis und Dokumentation, aktualisiert das Geschehene in Bezug auf den jeweiligen Kontext und hält es im Bewusstsein. Die Performance wird in all diesen Arbeiten zum vermittelnden Medium, durch die Erinnerung an Vergangenes ihre physische und diskursive Entsprechung in der Gegenwart findet.

[Leon Hösl]