Otto Piene: Die Sonne kommt näher

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3. August 2020
Text: Christian Gampert

Otto Piene: Die Sonne kommt näher.
Museum Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 13. September 2020.

www.hauskonstruktiv.ch

Als Otto Piene 2014 mit 86 Jahren starb, hatte er gerade in Berlin eine Skulpturen-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie eingerichtet. Seitdem hat es nicht viele Piene-Ausstellungen mehr gegeben. Umso besser, dass das Zürcher  Museum Haus Konstruktiv nun mit ausgewählten Werken einen Überblick über Pienes Schaffen bietet und dabei die für Piene wichtige Figur der lichtspendenden Sonne ins Zentrum stellt: „Otto Piene – die Sonne kommt näher“ heißt die Ausstellung.

Dass man auch mit Licht, mit Feuer malen kann, die Leinwand ansengen und ankokeln kann, war nur eine der revolutionären Erkenntnisse von Otto Piene. Sie kam ihm Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre. Da hatte er ein Malerei- und ein Philosophie-Studium hinter sich und wollte einfach weg von der gestischen Malerei des Abstrakten Expressionismus, der seine frühen Werke prägte. Piene besann sich eines Besseren: Nur das Licht und der Schatten sollten wichtig sein in seiner Kunst, Feuer und Wasser, die Erde, die Luft und die Körper, der gesteuerte Zufall. Mit der Gründung der „Zero“-Gruppe 1957 ging Otto Piene, zusammen mit seinen Kollegen Heinz Mack und Günther Uecker, in der Tat zurück an einen Nullpunkt der Kunst. Tabula Rasa, ein wirklicher Neustart. Reinheit, minimale Farbe, am liebsten die Nicht-Farbe Weiß. Otto Piene drückte aber auch erdbraune Materialien durch Siebe und produzierte auf diese Weise abstrakte Muster, die unterschiedliche Lichteffekte hervorriefen; er nahm Kerzen und sengte die Leinwand an, arbeitete mit Rauchspuren und Verbrennungen. An diesen „Feuerbildern“, die die Ausstellung in einigen herausragenden Beispielen zeigt, beeindrucken bis heute die Schwärzungen und Brandblasen, weil sie ein ganz physisches Erlebnis von Verletzung, aber auch von der Gewalt von Hitze und Licht vermitteln. Besonders, wenn vor glutrotem Hintergrund die Farbe einer schwarzen (!) Sonne nach unten zerläuft.

Vieles in dieser Kunst bewegt sich parallel zu den Synästhesie-Debatten der modernen Lyrik. Es lassen sich aber auch die Spuren des Kriegs in diese Bilder hineinlesen. Als 16-Jähriger wurde Otto Piene in seiner Heimat Westfalen als Flakhelfer eingezogen – und in frühen Werken spielte der Luftkrieg mit seinem blitzenden Abwehrfeuer eine gewisse Rolle, wie man in der Ausstellung sehen kann. Andererseits hat Piene mit den Möglichkeiten des Lichts auch ganz poetische, spielerische Installationen geschaffen, die meist auf den Effekten von rotierenden Lochscheiben, perforierten Wänden oder Rasterstrukturen beruhen. In einem abgedunkelten „Lightroom“ sehen wir einen sich ständig verändernden künstlichen Sternenhimmel, der mit dem realen Weltenraum überhaupt nichts zu tun hat, sondern ausschließlich auf eine romantisierende Wirkung aus ist. Ein wunderbares, geheimnisvolles Licht-Ballett. Tänzerisch wirken auch die tierhaften, beweglichen Riesenskulpturen zu Beginn dieser großartigen Schau ‒ und die sind letztlich das Ergebnis von Experimenten, die Piene Ende der 1960er Jahre in den USA gemacht hat. Dort blies er Plastik-Elemente auf und ließ Helium-gefüllte Objekte in den Himmel steigen. Man nannte das „Sky Art“ – und tatsächlich war es ja so, dass die NASA zu dieser Zeit zum Mond startete und Neil Armstrong seinen berühmten Schritt machte. Otto Piene eroberte den Luftraum eher mit künstlerischen Mitteln.

In Zürich tanzen und zappeln im großen Saal des Museums nun bunte Sterne (oder sind es Kraken mit Fangarmen?), die von einem Gebläse mit Luft befüllt werden. Sie wölben sich auf, um kurz darauf in sich zusammenzusinken. Dann schwillt der künstliche Körper wieder an. Eine Karikatur des Menschlichen (oder des Männlichen?). Und doch ist diese Kunst flüchtig und fast immateriell: in der physikalischen Lichtenergie von Pienes Leuchtskulpturen kündigt sich immer auch etwas Metaphysisches an. So ist es auch bei diesen freundlichen Luft-Skulpturen, die er einst in Berlin installierte und die kurz nach seinem Tod 2014 auf dem Dach der Berliner Nationalgalerie tanzten.