Daniel Knorr: Pulver und Rauch

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15. August 2020
Text: Jolanda Bozzetti

Daniel Knorr: We make it happen.
Kunsthalle Tübingen, Philosophenweg 76, Tübingen.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 19.00 Uhr.
Bis 20. September 2020.

kunsthalle-tuebingen.de

Katalog:
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2020, 358 S., 45,00 Euro / ca. 54.90 Franken.

Dadaism, Readymade, Action Painting, Information Art oder auch Maximalism. Auf der letztjährigen Art Basel Unlimited spielte Daniel Knorr (*1968) mit sämtlichen Kunstrichtungen. Aus Leinwänden zusammengebaute Automodelle wurden durch eine Waschstation geschoben, die zur Farbsprenkel-Anlage umgebaut war. In großen Leuchtbuchstaben wurde darüber die neuere Kunstgeschichte durchdekliniert. Es war eine Hauptattraktion der Messe und ein großer Auftritt, wie der in Berlin und Hongkong lebende Künstler ihn liebt. 2017 war Knorr an beiden Documenta-Standorten mit Arbeiten vertreten, die viel mediales Aufsehen erregten. Vom Zwehrenturm am Kasseler Fridericianum stieg für die gesamte Dauer der Ausstellung weißer Rauch auf, während in Athen allerlei auf den Straßen gesammelter Müll mit einer 50-Tonnen-Presse in exklusiven, käuflich erwerbbaren Künstlerbüchern verewigt wurde. Bereits 2005 sorgte der provokativ leer und unverändert gelassene Raum des rumänischen Pavillons auf der Kunstbiennale in Venedig für kontroverse Diskussionen.

Nach großen internationalen Stationen ist nun in der schwäbischen Idylle Knorrs erste institutionelle Schau in Deutschland zu sehen. Und auch diese soll natürlich ein Ereignis sein. Doch das große Messe-, Documenta-, oder Biennale-Publikum fehlt. Vielmehr steht die Ausstellung am Neubeginn nach der Corona-Zäsur. „We make it happen“ lautet der Titel, doch vieles, was hier zu sehen ist, ist bereits passiert.

So ist gleich das Intro der Ausstellung als retrospektiver Überblick über die zentralen, vom Künstler „Materialisierungen“ genannten, Werkgruppen angelegt. In loser chronologisch-thematischer Abfolge sind Arbeiten und Aktionen der letzten 25 Jahre abgebildet, darunter seine Abschlussarbeit bei Olaf Metzel an der Münchner Kunstakademie 1994 mit dem Titel „Powder“: Ein halbes Kilo von der Polizei beschlagnahmtes Kokain verteilte Knorr als rechteckige Kinder-Sandzeichnung auf dem Boden, unter Panzerglas geschützt und bewacht von zwei Polizisten, die gleichzeitig über ihre Arbeit zur Drogenprävention aufklärten. Mit interaktiven Installationen wie einer inmitten der alten Meister in der Kunsthalle Bremen aufgestellten Raucherkabine (2012) oder einer als Gemeinschaftsaktion im Galerieraum entspannten Drahtspule (2013) thematisierte Knorr gesellschaftliche Normen, Ausgrenzung oder Teilhabe. In der rückblickenden Dokumentation kommt jedoch unweigerlich das Gefühl auf, nicht dabei gewesen zu sein, etwas verpasst zu haben. Aktionen und Performances leben nun mal vom erlebten Moment.

Die Tübinger Ausstellung bietet dafür einen umfassenden Blick auf das Gesamtwerk und zeigt, welch einen Spagat es heute bedeutet, ein international erfolgreicher Künstler zu sein. Die neueren Arbeiten scheinen den (gesellschafts-)kritischen Anspruch verloren zu haben – zu buntfarbig und glänzend sind die „Depression Elevations“ (seit 2013) und „Canvas Sculptures“ (2020), um nicht (auch) als perfekte, leicht verkäufliche Galerieware identifiziert zu werden. Auch der konsumkritische Aspekt der raumfüllenden und begehbaren Installation „Calligraphic Wig“ (2019) muss unter der spiegelnden, verlockend selfie-tauglichen Oberfläche erst entdeckt werden. Die zur Ausstellung erschienene, umfangreiche Publikation hätte die Möglichkeit einer eingehenden Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Ebenen in den Arbeiten Daniel Knorrs geboten, doch leider bleiben die Textbeiträge an der Oberfläche haften oder verlieren sich in historisch-politischen Verweisen, die den Arbeiten als Kunstwerken nicht gerecht werden. Themen bieten diese zur Genüge, ist es doch der Anspruch des Künstlers „den Blick auf die Gegenwart zu schärfen“. In dieser Gegenwart bewegt sich Daniel Knorr als Player und Kritiker zugleich.