Tell me about yesterday tomorrow: Das Fiktive im Dokumentarischen

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30. März 2020
Text: Roberta De Righi

Tell Me About Yesterday Tomorrow.
NS-Dokumentationszentrum München, Max-Mannheimer-Platz 1, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 30. August 2020.

www.ns-dokuzentrum-muenchen.de

Die Ausstellung „Tell me about yesterday tomorrow“, die Gast-Kurator Nicolaus Schafhausen für das Münchner NS-Dokumentationszentrum zusammengestellt hat, ist ein Statement. Er hatte im Frühjahr 2019 die Leitung der Wiener Kunsthalle wegen der „nationalistischen Politik“ der damaligen Mitte-Rechts-Koalition in Österreich aufgegeben. Wie Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokuzentrums, betonte, gelte es gerade heute, die „Relevanz der Erinnerung“ hochzuhalten und mit einer „Solidarität des Denkens“ der „Radikalisierung des Politischen“ in der Gegenwart entgegenzuwirken. Sichtbar werden soll das in dieser „vielstimmigen“ Präsentation mit Beiträgen von 46 internationalen Künstlerinnen und Künstlerm, die sich mit Ausgrenzung und Verfolgung auseinandersetzen – und den globalen Kontext herstellen. Vom Holocaust führt der weite Bogen über die Unterdrückung von Indigenen und die Stigmatisierung von Homosexuellen zum neuen Hass gegen Juden – und Muslime.

Anders als bisherige Sonderausstellungen zieht sich „Tell me about yesterday tomorrow“ durch alle Ebenen des Hauses. Es gibt viele Videos, etwa von Kader Attia, der die Auswirkungen des Kolonialismus untersucht, oder Leon Kahane, der in „Pitchipoi“ die „Cité de la Muette“ im Großraum Paris aufsucht, wo sich unter dem Vichy-Regime ein Sammellager für jüdische Gefangene befand. Für „Karmel Dachau“ geht Andrea Büttner ins Karmeliterinnenkloster auf dem Gelände des ehemaligen KZ und Cana Bilir-Meier begleitet für „This makes me predict the past“ türkisch-kurdische Freundinnen beim Abhängen im OEZ – drei Jahre nach dem rechtsradikalen Anschlag in dem Münchner Einkaufszentrum. Gregor Schneider arbeitet sich mit dem ihm eigenen nüchternen Wahnsinn an Goebbels‘ Geburtshaus in Rheydt ab, das er, der ebenfalls von dort stammt, 2014 kaufte. Michaela Melián baute Thomas Manns einstige Villa in Bogenhausen in Taubenhaus-Größe nach, um die leere Hülle mit Zitaten aus dessen Werk zu erhellen, und Paula Markert fotografierte Schauplätze des NSU-Terrors.

Die Schau ist so nah am Puls der Zeit, dass ein Werk die antisemitische Attacke auf die Synagoge in Halle verarbeitet: Sebastian Jung hat sich das Täter-Video angesehen und in krakelige Zeichnungen übersetzt, die das Grauen, das ein einziger Mann mit Gewehr verbreiten kann, einfangen, aber auch Schlaglichter auf die Psyche des Täters werfen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Aufklärung und Banalisierung, den Jung meistert. Der gebürtige Jenaer ist schon lange gegen Nazis aktiv. Die Zeichnung ist seine Art, das Geschehen zu begreifen und zugleich Distanz herzustellen. Dass Ausgrenzung vor allem auch finanziell Schwache und Bedürftige trifft, zeigt die Polaroid-Serie „Shop­lifters“ von Mohamed Bourouissa: Schnappschüsse von auf frischer Tat ertappten Ladendieben in Brooklyn, die ihr bescheidenes Diebesgut verschämt in die Kamera halten: es sind Grundnahrungsmittel.

Ein strengeres Konzept hätte dem Ganzen allerdings gut getan, nicht alle Beträge überzeugen künstlerisch. Und die Hängung ist teilweise so dicht (sogar in der Bibliothek drängen sich die Exponate), dass die Augen flirren. Während andernorts Inklusion und Integration durch einfache Sprache Einzug erhalten, gerät hier die Schau zur Überforderung. Kernaufgabe des Hauses als zentraler Lern- und Erinnerungsort zum Nationalsozialismus ist seit der Eröffnung 2015 politische Bildung. Auch weil es kaum noch Zeitzeugen gibt, ist für Jugendliche die Nazi-Zeit weit weg. Umso wichtiger ist diese Institution, in die viele Schulklassen kommen. Nun mischt sich in die sachliche Dokumentation – die bei aller Hinwendung zum Dokumentarischen subjektive – Interpretation der Fakten durch Kunst ein. Das ist im Zeitalter „alternativer Wahrheiten“ konzeptuell fragwürdig. „Tell me about yesterday tomorrow“  ist eine starke Botschaft des weltoffenen München, in dem kein Platz für Rassismus und Fremdenhass ist. Didaktisch sinnvoll ist sie nicht. Weil sie nicht zuletzt jenen den Zugang erschwert, um die es geht.