Edward Hopper: Der amerikanische Freund

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26. März 2020
Text: Dietrich Roeschmann

Edward Hopper.
Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 17. Mai 2020.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2020, 148 S., 56 Euro | ca. 62.50 Franken.

www.fondationbeyeler.ch

Am Ende verschluckt ein riesiger schwarzer Kubus die Menschenmenge, die sich zuvor in einem trägen Strom durch die Säle der Fondation Beyeler geschoben hat. Aus dem Innern des Würfels tönt ein elegischer Soundtrack, irgendwo zwischen sanfter Melancholie und wogender Dramatik – gut, um den Blick leise seufzend in die Ferne zu richten, voller Sehnsucht und Zweifel, Erwartung und Angst. Der 3D-Film „Two or Three Things I Know About Edward Hopper“, den Regisseur Wim Wenders eigens für dieses Instantkino im Museumsbau gedreht hat, ist Resultat einer schwerwiegenden kuratorischen Entscheidung. Denn tatsächlich hat der traumartige Plot, den Wenders hier in 14 Minuten erzählt, nicht wirklich viel mit den Landschaften und Häusern in Öl, Aquarell und Kreide zu tun, welche die Ausstellung in den Räumen zuvor versammelt. Eher schon mit der Beschwörung dieses stereotypen Hopper-Feelings. Bei Wim Wenders treten sie dann plötzlich aus den Schatten der Fassaden, die Einsamen und Verlorenen, die Scheuen und Verschlagenen – apathische Gestalten, die wir aus Gemälden wie „Nighthawks“ kennen, aus „Summertime“, „Morning Sun“ oder „Summer Evening“, typische Protagonisten der Moderne, die in immer neuen Varianten das Thema der Entfremdung performen, der Geworfenheit des Subjekts, der Unfähigkeit zur Liebe. Wie Wenders diese ikonischen Bilder Hoppers interpretiert, die vom amerikanischen Kino der 1940er und 1950er Jahre ebenso beeinflusst sind wie sie ihrerseits die Filmästhetik von Hitchcock, Antonioni oder David Lynch beeinflussten, ist durchaus verführerisch. Die Stille, die Lichtstimmung, die undurchschaubare, aber offenkundige Verunsicherung aller Personen, welche die Leinwand hier ohne Ziel queren – das ist großes, schwermütiges Kino. Doch am Ende der Schau platziert, droht es die kleinen, oft eher unspektakulären Sensationen der ausgestellten Bilder zu überschreiben.

Ausgangspunkt der Schau ist das Bild „Cape Ann Granite“ von 1928, das kürzlich als Dauerleihgabe in die Sammlung der Fondation Beyeler gelangte. Locker verteilt in grasbewachsener Landschaft, werfen hier Felsblöcke in der Nachmittagssonne markante Schatten ins hügelige Gelände. Der Sommer an der Küste von Gloucester ist zum Greifen, die satten Farben und harten Kontraste lassen die Luft förmlich flirren. Es ist eine der wenigen Landschaften ohne Spuren menschlicher Eingriffe, die Hopper malte – abgesehen von einigen Felsformationen in der Brandung, die gut ein Jahrzehnt zuvor entstanden, als er sein Geld noch als Illus­trator bei New Yorker Werbeagenturen verdiente. Deutlich erkennbar ist schon hier sein Hang zur Klärung der Form bis hin zur Auflösung in flächige Abstraktion. Auf „Square Rock, Ogunquit“ (1914) schiebt sich ein mächtiger Felsen zwischen Geröll und Wellen als dunkles Farbfeld in den Bildraum. Später sind es die monochrom braunen Seitenwände von Güterwaggons, hinter denen ganze Städte verschwinden („Freight Cars“, 1928), oder die Holzfassaden verschachtelter Scheunenkomplexe („Cobb’s Barns and Distant Houses“, 1930-1933), in denen sich Abstraktion und Gegenständlichkeit, Stillstand und Bewegung, Fläche und Raum verbinden. Tatsächlich ist das Kino in diesen Bildern in einer Weise anwesend, die weit über die sorgfältig inszenierten Settings seiner berühmten Film-Noir-Blaupausen hinaus geht. Einige der Bilder sind wie Filmstills mit der Handkamera aus dem Zugfenster komponiert, mit scheinbar willkürlich den Blick störenden Oberleitungsmasten. In dieser Flüchtigkeit des absichtslosen Blicks liegt etwas Modellhaftes, das Hoppers Bilder weniger als Ansichten bestimmter Landschaften denn als Chiffren von Landschaftserfahrung erscheinen lässt, als Überblendung geografischer und innerer Topografien. Die weißen Häuser von New England werden so zu Porträts ihrer Bewohner*innen, Straßen, Brücken und Gleise, welche die Bilder durchschneiden, zu Verbindungen mit der Welt außerhalb der Rahmen, zu Passagen zwischen Enge und Weite, Erinnerung und Erwartung. Das wiederum ist großes Kopfkino. Gerade deshalb lohnt es sich, nach Wenders’ immersiver 3D-Hommage an den Ikonenmaler Hopper nicht nach Hause zu gehen, sondern noch einmal zurück durch diese dichte, schöne Ausstellung.