Amuse-bouche: Es ist angerichtet

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27. März 2020
Text: Christiane Grathwohl

Amuse-bouche: Der Geschmack der Kunst.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 17. Mai 2020.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020, 144 S., 28 Euro | ca. 33 Franken.

www.tinguely.ch

Mit seiner neuen Ausstellung schlägt das Museum Tinguely den großen Bogen von der äußerst delikaten und symbolreichen Stillleben-Malerei des niederländischen 17. Jahrhunderts bis zur Installationskunst im Hier und Jetzt. Thema ist in diesem Jahr der Geschmack der Kunst und das ist nicht nur im übertragenen Sinn zu verstehen. Es ist die dritte Schau einer Ausstellungsreihe, die sich zur Aufgabe macht, das Verhältnis von Bildender Kunst und den menschlichen Sinnen zu erkunden. In den beiden vorhergehenden Schauen ging es um den Geruchs- und den Tastsinn. Nun ist also der Geschmack an der Reihe. Fünfzig internationale Künstlerinnen und Künstler zeigen in 120 Werken, wie vielfältig-ideenreich, ästhetisch-schön, kritisch-hinterfragend, ekelhaft-abstoßend und genussvoll-lecker man sich mit diesem Thema befassen kann. Das Ordnungsraster für den Ausstellungsaufbau sind die fünf physiologisch unterscheidbaren Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, bitter und umami.

Noch bevor man in die eigentlichen Ausstellungsräume eintritt, kann man gewissermaßen an ihren Außenrändern, selbst etwas von der Kunst abbeißen. Die große Wand, auf der Elizabeth Willing ihr Werk „Goosebump“ installiert hat, besteht aus Pfeffernüssen mit Zuckerguss überzogen und in schier endlosen Reihen auf die gesamte Wandoberfläche aufgebracht. Oder man kostet von Marisa Benjamims Installation „Hortus Deliciarum“ von 2019, in der unter anderem essbare Pflanzen wachsen.  Der innere Ausstellungsbereich ist in zwölf Räume unterteilt, die bestimmten Begriffen zugeordnet sind. Da sind Räume mit „Der Geschmack der Begierde – von Muttermilch, Bananen und Schokolade“, „Bittersüß“, „Eat Art“, „Geschmack des Fremden“ überschrieben. Die dazu ausgewählte Kunst ergibt Sinn und erschließt sich wie in dem mit „Bitter(er) Ernst – von Schimmel und Gift“ betitelten Raum, in dem sich auch Tobias Rehbergers minimalistische Tischinstallation „Familie Strychnin (die nächste Generation)“, 2020, befindet. Auf dem einfachen weißen Tisch sind sieben Teller gedeckt, auf jedem ein Klecks Rote Beete-Saft mit Strychnin, wie das Schildchen informiert. Eine Anlehnung an Grimms Märchen und die Frage „Wer hat von meinem Tellerchen gegessen? Wer hat aus meinem Becherchen getrunken?“.

In diesem Raum wird ebenfalls Sam Taylor-Johnsons Videoinstallation „Still-Life“ aus dem Jahr 2001 gezeigt, die von abstoßender Faszination ist. Im drei Minuten 44 Sekunden langen Loop kann man in Zeitraffer verfolgen, wie appetitliche Äpfel, Birnen, Pfirsiche und Trauben im Lauf der Zeit verfallen, faulen und schließlich von einem Pelz grauen Schimmels überzogen sind. Erinnert das Arrangement am Anfang noch an das aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemälde von Jan Davidsz. de Heem zu Beginn der Ausstellung, so wird später der Verfall und die Zersetzung alles Organischen unmissverständlich dokumentiert.

Die fünfte Geschmacksrichtung „umami“ macht neugierig. Welche Kunst ist „Umami – von Suppe, Fleisch und Pizza“ zugeordnet? Man erfährt, dass diese nicht allgemein geläufige, aber vom japanischen Wissenschaftler Kikunae Ikeda schon vor hundert Jahren geprägte und physiologisch nachgewiesene Geschmacksbezeichnung im Deutschen mit „herzhaft würzig“ übersetzt werden kann und den Geschmack von Stoffen aus der Gruppe der Aminosäuren bezeichnet. Auf Japanisch heißt es „köstlich“ und bezeichnet alles, was nach Sojasauce, Algen, Deftigem und ein wenig nach Brühwürfel schmeckt. Hier sind  Andy Warhols „Campbell’s Soup II“ von 1969 versammelt, ein frühes „Still Life #3“, 1962, von Tom Wesselmann, Pol Burys „Bratpfanne mit Eiern“ von 1972 und neun Fotos aus Fischli Weiss‘ „Wurstserie“, 1979. Aber auch Joseph Beuys‘ verblüffendes Objekt „Ich kenne kein Weekend“ von 1972/73 ist hier zu sehen, das die gelbe Reclam-Ausgabe von Kants „Kritik der reinen Vernunft“ mit einer Flasche Maggi-Würze in einem schwarzen Kasten kombiniert. Jetzt wissen wir, was umami ist. Doch die Ausstellung hält noch weitere Überraschungen bereit. Es lohnt sich.